Der 1. FC Heidenheim stürmt in die zweite Liga. Und die Stadt träumt von einem neuen Wirtschaftsaufschwung. Der Spitzenfußball ist in der Provinz inzwischen zu einem wichtigen Standortfaktor geworden.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Heidenheim - Für Holger Sanwald ist im Grunde immer Spieltag, und wenn seine Fußballer nach dem Abpfiff die brennenden Waden ins Eiswasser hängen, dann rennt der 46-Jährige weiter und beharkt Bürgermeister, Stadträte, Architekten und Sponsoren. Manchmal schlafe er schlecht, weil er befürchte, dass alles, was er aufgebaut habe, einmal über ihm einstürzen könnte, bekennt der Manager, wenn er mal zum Durchatmen kommt. Aber zum Frühstück, darin ist der Mann sich selber ein Wunder, schlagen aus seinen Augen wieder Funken. „Irgendwie regeneriere ich schnell.“

 

Es gibt da etwas, das Sanwald noch mehr zusetzt als gelegentlicher Bammel vor der eigenen Courage. Und das ist, ein Ziel, dem er sich verschrieben hat, nicht greifen zu können. In seiner aktiven Fußballzeit hat er Landesliga gespielt, damals noch für den Heidenheimer Sportbund, mal als Vorstopper, mal als Stürmer. Er erlebte mit, wie die Mannschaft sieben quälende Jahre lang zu gut für den Abstieg und zu schlecht für den Aufstieg kickte und die Spannung der Zuschauer erlahmte, bis sich kaum noch jemand im Albstadion verlor. Dann übernahm das Multitool des grünen Rasens den Abteilungsleiterposten bei den Fußballern. Von da an war Schluss mit dem Selbstmitleid, das nach gewisser Zeit immer im tabellarischen Nirgendwo zu gedeihen pflegt.

Heute spielt die Mannschaft so, wie Sanwald und Frank Schmidt, der Trainer und Heidenheimer Ex-Spieler, selber sind: kämpferisch, willig, leidensfähig, erfolgsorientiert. Niemand gibt die Diva in dieser Truppe, die jede Woche zeigt, dass sich im Sport wie überhaupt im Leben durch Fleiß und Disziplin immer noch mehr erreichen lässt als mit Genie. Der FC, obwohl Dauerspitzenreiter, ist nie der Intercity der Liga gewesen, gewinnt entscheidende Spiele meist mit nur einem Tor Unterschied. Aber die Spieler besitzen die kollektive und kaum trainierbare Gabe, gegen Ende fast jeder Partie eine magische Viertelstunde höchster Intensität zu kreieren, die den Gegner überrumpelt. Das ist Kopfsache.

„Handverlesen“ seien alle Spieler, betont Sanwald. Vor einer Vertragsverpflichtung müssen Neulinge durch das Stahlbad bohrender Interviews mit Trainer und Manager. „Wir wollen nicht irgendwas von dir“, sagt Sanwald dann. „Wir wollen alles.“ Wer da nicht nickt, kann gehen.

Der alte Kiosk zwischen brandneuen Tribünen

Was aus ihrem Verein geworden ist, das kapieren viele der alten Fans bis heute nicht richtig. Vor Heimspielen nehmen die Schulfreunde Hans Roßkopf und Andreas Chichosz immer Platz auf den Bierbänken im Dinkelackerstüble vor dem Stadion, um bei Kaltgetränken und Leberkäs die Siegchancen des FC zu wägen. Wenn sie scharf nach links gucken, sehen sie den Parkplatz vor dem Businessclub, auf dem es aussieht wie im Showroom einer gut geführten Porsche-Niederlassung. Bei Anpfiff stehen die 47-jährigen Altfans dann wie schon seit einem Vierteljahrhundert auf der Gegengeraden neben dem quasi historischen Kiosk am Spielfeldrand, den der Verein aus Traditionspflege zwischen brandneuen Tribünen stehen gelassen hat. Wenn sie von dort scharf nach rechts gucken, sehen sie das lärmende Menschenknäuel der Ostkurve, wo sich seit einigen Jahren die Generation Facebook im Stimmungsblock versammelt. „Die gab’s hier früher gar nicht“, sagt Hans Roßkopf mit bedächtigem Kopfschütteln.

Der Zuschauerschnitt in Heidenheim ist in der laufenden Saison auf fast 8500 gestiegen, so viel wie noch nie. 6000 Dauerkarten setzte der Verein zuletzt ab, die 18 Business-Logen sind alle verkauft. Zwischen den Fans klafft, konform zum ganzen Fußballspitzensport, ein wirtschaftlicher und sozialer Unterschied, aber darüber hinaus auch eine Generationslücke. Das Gefühl von Einigkeit und völliger Verschmelzung fehlt unter den Anhängern des FC, dessen Wurzeln zwar bis 1846 zurückreichen, dem aber die Tradition höchster Erfolge abgeht. Immerhin verläuft das Nebeneinander der Blocks friedlich. Der Fanbeauftragte Fabian Strauss hat bei Heimspielen ein Auge auf 15 offiziellen Fanclubs und „unzählige andere Gruppen“. Allenfalls kommen Beschwerden, wenn das freiwillige Rauchverbot missachtet wird.

Wenn sein Verein einmal als „Bonzenclub“ tituliert würde, das wäre für Holger Sanwald noch schlimmer als der Einstieg eines arabischen Scheichs, der die ganze Truppe in Schecks wickeln würde. Das würden die Werker aus den Heidenheimer Großbetrieben, die auf den Rängen inbrünstig die Clubhymne „Geradeaus und ehrlich“ ins Rund schmettern, kaum verzeihen. So, wie es ist, mögen es auch die Geldgeber. Sanwald hat sein zentrales Arbeitscredo von Rinaldo Riguzzi übernommen, dem früheren Vorstandschef des Heidenheimer Medizinproduktekonzerns und Trikotsponsors Hartmann. „Nach oben nicht im Fahrstuhl, sondern über die Treppe.“ Der Verein, das steht fest, soll auch in der zweiten Liga nach Schweiß und harter Arbeit riechen.

Sanwald, der Menschenfischer

Das Stoppschild für Scheichs steht direkt beim Stadion, ist hoch wie eine Hauswand und sieht aus wie der Großdruck der Heidenheimer Gelben Seiten. Verzeichnet sind darauf die Namen der 300 Sponsoren, die den Verein unterstützen. Der große Menschenfischer Holger Sanwald hat aus seinem Verein über die Jahre einen Tausendfüßler gemacht, der noch lange nicht umfällt, wenn ihm ein Bein abhandenkommt. Dass der von einer Bestechungskrise geschüttelte Hamburger Sportsponsor Imtech seinen Sponsorenvertrag kürzlich kündigte, fällt deshalb, anders als beim benachbarten Zweitligisten VfR Aalen, kaum ins Gewicht.

Unter den offiziellen Förderern tummeln sich mit ihrem Logo auffälligerweise alle größeren privaten Print- und Funkmedien der Gegend. Wie mit solchen aufgelösten Distanzverhältnissen umgegangen wird, wenn die Sonne mal nicht mehr scheint, woher die mutigen Kritiker kommen sollen, wenn Sporthelden stolpern, darüber macht sich offenbar kein Mensch Gedanken. Es jubelt sich gerade so schön.

Verstehen kann man die kollektive Heidenheimer Sehnsucht nach Glanz und Erfolg ja schon. Die Mittelstadt, deren Einwohnerzahl 2012 deutlich unter die Marke von 50 000 sank, muss hart um ihre Attraktivität kämpfen. Das Kfz-Kennzeichen HDH stehe für „Hinter den Hügeln“, hat der Oberbürgermeister Bernhard Ilg vor Jahren selbstironisch von sich gegeben. Das war, bevor die Landesgartenschau das Stadtbild veränderte – und bevor sich im Jahr 2007 die Rathausspitze nebst dem Gemeinderat entschloss, ihren Bestand an rund 5000 städtischen Wohnungen, gehalten über die Gemeinnützige Baugesellschaft Heidenheim (GBH), an den börsennotierten Luxemburger Immobilienkonzern Gagfah zu verkaufen. Gerade viele sozial schwache Familien wurden dadurch in Ängste gestürzt.

Der Deal spülte 40 Millionen Euro in die Stadtkasse. Ilg leitete den neuen Reichtum unter anderem in den Bau eines Kongresszentrums und schob ein umfassendes Sportförderkonzept an. Der FC Heidenheim bekam eine Infusion, von der andere Vereine nur träumen können. Für 25 Millionen Euro wurde das Stadion auf dem Schlossberg ausgebaut, 15 Millionen davon kamen aus der Steuerkasse. Per Überlassungsvertrag wurde den Profis gestattet, die Arena mietfrei zu nutzen. Gagfah wurde deren erster Namensgeber und brachte dafür zwei Millionen Euro mit.

Das Stadion soll zweitligatauglich werden

Fast gleichzeitig begannen Rechtsstreitereien mit Bewohnern, denen Mieterhöhungen zugestellt wurden und die sich im wahrsten Sinn des Wortes verkauft fühlten. Das Reibungsverhältnis besteht auch heute noch. Aktuell wehren sich 300 Gagfah-Mieter gegen Preisanhebungen, für die der Kreismietverein keine Rechtsgrundlage sieht.

Sollte das Fußballengagement der mittlerweile hoch verschuldeten Luxemburger damals ein Ablasshandel gegenüber der befremdeten Heidenheimer Bevölkerung sein? OB llg tritt einer solchen Sichtweise entschieden entgegen. Die halbkommunale GBH habe sich die Namensrechte am Stadion schon gesichert, bevor es zum Verkauf gekommen sei. Gagfah, obwohl im Sport gar nicht verankert, habe den Sponsorenvertrag großzügig erfüllt, bis die Firma Voith das Namensrecht erworben habe.

Jetzt braucht es wieder städtisches Geld, 2,5 Millionen Euro genau, damit das Stadion zweitligatauglich gemacht werden kann. Zwei Stadionecken sollen zugebaut werden, die Kapazität stiege von 13 000 Plätzen auf 15 000. Da trifft es sich, und auch das gehört zu den Heidenheimer Gegebenheiten, dass Holger Sanwald CDU-Stadtrat und Parteifreund des Oberbürgermeisters ist. „Ohne eine Partizipation der Kommune kann so was nicht funktionieren“, sagt denn auch Bernhard Ilg. Wenn er heute zu Sitzungen des Deutschen Städtetags anreise, werde er ständig auf Fußball und den Aufstieg angesprochen. „Da fragen sie mich: klappt’s vollends?“

Der Spitzenfußball ist in Heidenheim ein Standort- und Wirtschaftsfaktor geworden, ein mächtiges Versprechen auf die Zukunft. Der Businessclub des Stadions wird bei Heimspielen die zentrale Anlaufstelle der Netzwerker und Parkett der besseren Gesellschaft. So was gab es, einmal abgesehen von den jährlichen Opernfestspielen, in der Stadt bisher nicht. Die örtlichen Betriebe profitierten von der wachsenden Bekanntheit Heidenheims, von den Fernsehübertragungen, und das sei, sagt Ilg, wichtig im Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte. Kritikern, denen der Rummel um den Fußball zu viel ist, hält der Oberbürgermeister entgegen: „Ja, wir sind auch Fechterstadt. Aber wen interessiert’s?“

Herzlich willkommen in der Provinz

Fünf Spieltage dauert diese Drittligasaison noch. Morgen kommt der Tabellenfünfzehnte, Holstein Kiel, auf den Schlossberg. Der Vorsprung auf den Tabellenplatz zwei, der immer noch zum direkten Aufstieg berechtigt, beträgt sieben Punkte, auf den Relegationsplatz neun Punkte. Und die beiden direkten Verfolger müssen noch gegeneinander ran. Jede Putzkraft im Verein ist überzeugt: So viel Pech und Schwefel, um diesen Aufstieg noch zu verhindern, kann der Teufel gar nicht haben.

Kürzlich hat die „Hamburger Morgenpost“ in großer Aufmachung die Ortsschilder von Heidenheim, Aalen und Sandhausen gedruckt, darunter die an die Profikicker des Hamburger SV gerichtete warnende Frage: „Wollt ihr HIER wirklich hin?“ Holger Sanwald hat das Zähneklappern im hohen Norden und die Verunglimpfung der vermeintlichen Provinz genüsslich gegurgelt. „Ich kann die Hamburger beruhigen“, sagt er listig. „Es macht verdammt viel Spaß, hier zu spielen.“

Dann fügt der Manager noch an, auf Begegnungen mit den Stuttgartern könne er in der nächsten Saison bestens verzichten. Das heißt wohl: Alles Gute VfB.