Die Calgary Stampede, das größte Rodeo-Volksfest der Welt, wird 100 Jahre alt. Hier reiten nur die besten Cowboys der Zunft. In sechs Disziplinen gibt es mehr als zwei Millionen Dollar zu gewinnen.

Calgary - Dustin Flundra hat diesem Tag entgegengefiebert, seinem Heimspiel bei der berühmten Calgary Stampede. Hier darf der 31-jährige professionelle Rodeo-Cowboy zeigen, dass er sich auf einem bockenden, wild um sich schlagenden Pferd halten kann. In diesem Jahr ist die Teilnahme an der Stampede, die wie kein anderes Ereignis dieser Art den Wildwest-Mythos pflegt, eine besondere Ehre, denn die „größte Outdoorshow der Welt“, wie sie sich selbst nennt, wird 100 Jahre alt.

 

Wochenlang war Dustin Flundra in seinem Truck mit Wohnanhänger unterwegs. 70 bis 80 Rodeos besucht er pro Jahr, seit zehn Jahren verdient er seinen Lebensunterhalt als Saddle Bronc Rider, als Wildpferdreiter im Sattel. „Ich wuchs auf einer Ranch und mit Rodeos auf“, sagt der junge Mann mit dem breitkrempigen Cowboyhut, den er fast nie absetzt. Bei seinem Heimspiel in Calgary werden, natürlich, Freunde und Verwandte Augenzeugen des Spektakels sein: Auf einem bockenden Pferd jagt Flundra in die Arena, das Pferd krümmt seinen Rücken, tritt aus, wirft zuerst seine hintere Körperhälfte in die Höhe, dann die vordere, streckt sich und krümmt sich wieder, alles rasend schnell, um den Reiter abzuwerfen. Aber Flundra hofft, es auch diesmal zu schaffen, sich mindestens acht Sekunden auf dem Pferd zu halten. Acht Sekunden, die auf dem wilden Pferd wie eine Ewigkeit erscheinen. Zur Calgary Stampede, einem Einladungsturnier, kommen nur die besten der Welt. Flundra ist stolz, einer von ihnen zu sein.

Es geht um die Show, aber auch ums Geld

Calgary ist Albertas größte Stadt und durch die Ölindustrie eine der reichsten Städte Kanadas. Die Prärieprovinz mit den gewaltigen Rocky Mountains im Westen ist das Land der riesigen Ranchen mit Pferden und Vieh, in dem die Cowboy-Mentalität in der Bevölkerung verankert ist. Hier hat die konservative Bundesregierung des Premierministers Stephen Harper ihre Wurzeln.

Die Stampede ist das Showfenster von Kanadas Wildem Westen. Zu verdanken haben die Kanadier die Stampede – das Wort bedeutet eine unkontrollierte Flucht einer Tierherde – aber dem US-amerikanischen Rodeo-Cowboy Guy Weadick. Er organisierte 1912 den ersten „Cowboy Championship Contest“. Calgary hatte damals 60 000 Einwohner, aber die Wettbewerbe zogen bereits 40 000 Zuschauer an. 1923 wurde die Stampede mit einer Landwirtschaftsmesse zusammengelegt. Heute zählt das zehntägige Volksfest bis zu 1,2 Millionen Besucher. Für die Stadt Calgary und ihre Wirtschaft ist es ein Millionengeschäft.

Das Rodeo als Teil der Stampede ist der große Publikumsmagnet der Provinz. Es geht nicht nur um Unterhaltung, sondern für die Cowboys und Cowgirls auch um viel Geld. In den sechs Disziplinen ist ein Preisgeld von insgesamt zwei Millionen Dollar ausgelobt, eine weitere Million gibt es im Planwagenrennen. Der Hauptpreis jeder Disziplin sind 100 000 Dollar. Dustin Flundra hofft, beim Finale am 15. Juni dabei zu sein und einen dicken Scheck mit nach Hause zu nehmen. „Ich mache ganz gut Geld“, sagt er über seinen Beruf. Im Jahr gewinne er bis zu 150 000 Dollar. Aber auch die Ausgaben sind hoch: Die Kosten für die Reisen durch Nordamerika und satte Startgebühren schmälern den Gewinn. Trotzdem kann Flundra vom Rodeo gut leben, gelegentliche Blessuren und Schmerzen sind schnell vergessen.

Die gefährlichste Disziplin ist das Bullenreiten

Auf der Stampede startet der Cowboy in einer der klassischen Disziplinen, dem Saddle Bronc Riding, bei dem sich der Reiter auf dem gesattelten Pferd halten muss. Die Pferde werden auf der Stampede Ranch in Alberta gezüchtet und den Cowboys beim Wettkampf zur Verfügung gestellt. „Man muss acht Sekunden schaffen, um in die Punktwertung zu kommen. Die beiden Wertungsrichter vergeben Punkte für das Verhalten der Pferde, wie hoch es springt und wie stark es auskeilt, und ob der Cowboy im Rhythmus mit der Bewegung des Pferdes bleibt“, erklärt Dustin Flundra.

Beim Bareback-Bronc-Reiten sitzt der Cowboy auf einem ungesattelten Pferd, das versucht, ihn abzuwerfen. Als gefährlichste Disziplin gilt das Bullenreiten. Weitere Wettbewerbe sind das Calf Roping, bei dem ein rennendes Kalb mit einem Lasso eingefangen wird, und das Steer-Wrestling, bei dem sich ein Cowboy auf einen Jungstier stürzt und ihn umwirft. Die einzige Disziplin, bei der Frauen zugelassen sind, ist das Barrel Racing: Die Reiterinnen müssen so schnell wie möglich einen mit Tonnen markierten Parcours in Form eines dreiblättrigen Kleeblatts zurücklegen.

Immer wieder leiden und sterben Pferde

Die Stampede hat seit jeher ihre Fans, aber auch ihre Kritiker. Todesfälle von Tieren werfen Schatten auf das traditionsreiche Spektakel. Seit 1986 kamen nach Angaben der Calgary Hume Society (CHS) mehr als 50 Pferde bei den Rodeo-Wettbewerben und den Planwagenrennen ums Leben. Sie starben durch Herzschlag oder mussten nach Knochenbrüchen eingeschläfert werden. 2010 waren es sechs Pferde. Kritisch sehen Tierschützer vor allem die Planwagenrennen und die Lassojagd auf Kälber.

Statt gegen die Stampede zu opponieren oder zum Boykott aufzurufen, setzt die CHS auf Gespräche mit den Veranstaltern. Auf diesem Weg hat sie immerhin neue Regeln durchgesetzt. Rund um die Uhr sind nun Veterinäre im Einsatz, die die Einhaltung von Tierschutzstandards überwachen und die Tiere betreuen. Radikaler ist die Haltung der Vancouver Humane Society (VHS). Wenn sich Leute als Cowboys anziehen und feiern wollen, sei das okay, aber Tiere dürften nicht leiden. Was beim Rodeo passiere, habe oft nichts mit der tatsächlichen Arbeit auf einer Ranch zu tun. 100 Jahre Stampede seien „ein Jahrhundert unnötigen Leidens von Tieren“.