Erst war die Einrichtung für die Soldatengattinen im Ersten Weltkrieg gedacht, dann verleibten sie sich die Nationalsozialisten ein. 1945 startete das Haus der Familie neu: Heute wird es jährlich von mehr als 10 000 Menschen besucht.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Wir kommen gerne“, bekräftigen viele Mütter, Väter und Kinder, die für sich das Haus der Familie entdeckt haben: als Ort der Information, Beratung, Fortbildung aber auch als Ort für Unterhaltung und Sport sowie als Forum, in dem Eltern praktische Ratschläge austauschen können und sich niemand daran stört, wenn Kinder nebenher laut sind oder ein Baby gestillt wird. Die älteste Institution dieser Art im Land feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Am 22. September hatte sie dazu im Hospitalhof bei ihrem offiziellen Fest eine selbst inszenierte Revue auf die Bühne gebracht. „Wir wollten unbedingt etwas Buntes, Lebendiges machen. So wie unser Haus es auch ist“, sagte Corinna Wirth. Mit Sabine Antesz leitet sie gemeinsam die Einrichtung.

 

Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg

Zum Jubiläum hatten die beiden ihre Vorgängerinnen an die Kaffeetafel gebeten, um launig über die Entwicklungen und die immer wieder neuen Herausforderungen zu plaudern. Selbst die Gründerin Luise Lampert hatten sie in einem Theaterstück zum Leben erweckt. 1917 hatte die Beschäftigungstherapeutin beim Roten Kreuz mit Unterstützung der Stadt die erste Mütterschule gegründet, um den Frauen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, die in den Jahren des Ersten Weltkriegs mit ihren Kindern alleine auf sich gestellt waren. Die Nationalsozialisten gliederten die Mütterschule in den Reichsmütterdienst ein und reduzierten die Frau auf ihre biologische Aufgabe als Gebärende und als Heimchen am Herd. Nach 1945 verhalfen die evangelische und die katholische Kirche der Mütterschule zum Neustart. Heute ist der Träger der Verein „Haus der Familie in Stuttgart e.V. - Mütterschule“. Getragen wird er vom evangelischen Kirchenkreis Stuttgart und der Gesamtkirchengemeinde Bad Cannstatt.

Kurse für werdende Großeltern

Die erste Vorsitzende des Vereins, die Dekanin Kerstin Vogel-Hinrichs, lobte das ganzheitliche Konzept auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes. „1979 rückten die Väter und die ganze Familie ins Blickfeld. Heute gibt es sogar Kurse für werdende Großeltern.“ Bildung sei der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben, betonte sie. Deshalb sei die Arbeit der Einrichtung mit ihrem Welcome-Center für Neugeborene, den Betreuungsangeboten für Kinder, der Hausaufgabenhilfe und den Ferienfreizeiten sehr wichtig. Heute nutzen jedes Jahr 10 000 Mütter, Väter und Kinder die Angebote, die von 25 festen Mitarbeiterinnen und rund 180 Dozenten initiiert werden.

Integration verstärkt im Fokus

Oberkirchenrat Werner Bauer hob die Bedeutung der Familie hervor. Trotz gesellschaftlicher Veränderungen und neuer Spielarten gelte nach wie vor: „Familie werde ich nicht los“, sagte er. „Sie ist nicht nur Privatsache, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung.“ Für den stellvertretenden Vorsitzenden der evangelischen Landesarbeitsgemeinschaft der Familien-Bildungsstätten in Württemberg, Frieder Leube, beweist das Haus der Familie ein hohes Maß an Kunstfertigkeit bei der Integration. Die rückte 2011 durch den Umzug von der Villa an der Neuen Weinsteige nach Bad Cannstatt verstärkt ins Blickfeld. Heute fungiert besonders das Café Cännle als multikulturelles Stadtteil- und Familienzentrum. Diese Funktion hob auch die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer, hervor. „Das Haus der Familie erreicht alle Nationalitäten und Religionen“, betonte sie. „Die Stadt schätzt diese aktuelle sozialpolitische Bedeutung“, und deshalb werde die Einrichtung auch in Zukunft verlässlich gefördert.