Auf eigene Art hat der neue Papst Fraziskus klargemacht, wie er sich den Kirchenumbau vorstellt. Er geht mit Schwung an die Sache, befindet StZ-Korrespondent Paul Kreiner in seiner 100-Tage-Bilanz des Pontifikats.

Rom - Er ist kein „dritter“, kein „achter“, kein „siebzehnter“. Er ist: Franziskus. Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der da im Februar mit einem einzigen Koffer vom „Ende der Welt“ anreiste, der während des Konklaves seine Socken selber wusch und der – obwohl jenseits der bischöflichen Pensionsgrenze – in Rom noch einmal ganz von vorne anfing, er hat in seinen ersten hundert Tagen dem Papstamt eine neue, unverwechselbare Originalität gegeben. Machte er an jenem regnerischen Abend des 13. März 2013, bei seiner Vorstellung auf dem Balkon des Petersdoms, noch einen etwas linkischen Eindruck, so stand schon am Morgen danach fest: da ist einer, der weiß, was er will.

 

Doch was will dieser Papst? Von Maßnahmen, wie sie gerade nördlich der Alpen als „das A und O der Kirchenreform“ propagiert und erwartet wurden, hat Franziskus noch kein einziges Mal gesprochen: Zölibat, Frauenpriestertum, Kondom, wiederverheiratete Geschiedene – all das scheint ihn nicht zu interessieren. Trotzdem strömt immer mehr Volk zu den Generalaudienzen, so zahlreich wie lange nicht mehr. Franziskus selbst, das ist das Fundament seiner Amtsführung, sucht möglichst viel Nähe zu möglichst vielen Menschen. Für sich allein, in der Abgeschiedenheit eines „Apostolischen Palasts“, will und kann dieser Papst nicht regieren. Schon an seinem ersten Abend hat Franziskus von einem „gemeinsamen Weg“ gesprochen und sich – unter tiefer Verneigung – zuerst von den Gläubigen segnen lassen, bevor er seine päpstliche Vollmacht zum Segnen der Massen annahm. Anders als unter „Papa Ratzinger“, den man zwar seiner Intellektualität wegen bewundern mochte, der aber immer den kühlen Hauch unnahbarer akademischer Gelehrsamkeit verströmte, spürt die Menge heute einen Menschen aus Fleisch und Blut in ihrer Mitte; und wenn Franziskus lachend seine Arme um alte Bekannte schlingt und sie an sich drückt, dann sehen alle: der Mann hat Freunde.

Die Kurie befindet sich in der Zange

Es gibt in Rom bereits Kritik an der „Franziskus-Show“. Doch der Papst sucht die Nähe zu den Menschen nicht der Selbstgefälligkeit halber, sondern aus zwei entscheidenden Gründen. Zum einen will er mit eigenem Schwung und Beispiel die katholische Kirche aus ihrer Lethargie reißen – aus dem „Gebet zur Göttin des Jammers“, aus ihrer Selbstbespiegelung und ihren sterilen Binnendiskussionen. Kirchenreform besteht für Franziskus nicht im Warten auf irgendwelche römischen „Liberalisierungen“, sondern im gemeinsamen Anpacken aller. Franziskus will motivieren. Und wenn er von „Evangelisierung“ spricht, dann nicht davon, dass Katholiken papierene Lehrsätze weiterreichen sollen – anders als sein Vorgänger hat Franziskus noch nie das Katechismus-Buch empfohlen –, sondern davon, dass sie „an den Peripherien der Städte und des Geistes“ spüren lassen sollen, wie es sich aus der christlichen Gnade so lebt. Das aber müssen viele Katholiken erst selber (wieder) erfahren, und dann müssen sie sich mitreißen lassen. Sonst bleibt der umjubelte Franziskus am Ende doch allein und die Kirche, wie sie ist.

Der Rekurs dieses Papstes auf das Kirchenvolk hat eine zweite Funktion: Die   Kardinäle haben Bergoglio gewählt, damit endlich einer die römische Kurie reformiert. Einen Außenseiter aber, einen auch noch „vom Ende der Welt“, den kriegt jeder Apparat klein. Einer jedoch, den die Gläubigen auf Händen tragen, der ist stärker, als zu erwarten war. Mit der gleichzeitigen Schaffung eines persönlichen „Rates der acht Weisen“ hat der neue Papst auch noch von oben zugepackt; die Kurie befindet sich in der Zange. Und Franziskus lässt sie dort. Niemanden hat er definitiv im Amt bestätigt; alle Personalien bleiben „in diesem Stadium des Nachdenkens“, wie er kürzlich bekräftigte, vorläufig. Die 100 Tage des Papstes Franziskus, sie waren erst der Anfang, aber ein vielversprechender.