Art Spiegelman hat einen ganz eigenen Blick auf die Ereignisse am 11. September geworfen. "Im Schatten keiner Türme" heißt sein Werk - ein Comic.

New York - Die jahrelangen Diskussionen über ein World-Trade-Center-Mahnmal hatten noch gar nicht begonnen, da war dieses Mahnmal eigentlich schon da: Sechs Tage nach dem Anschlag erscheint die Zeitschrift "The New Yorker" mit einem schwarzen Cover - und bei genauerem Hinsehen erkennt man auf mattem Grund die glänzenden Zwillingstürme, sie wirken wie polierte Grabsteine und gleichzeitig wie nicht mehr zu füllende Leerstellen. Der New Yorker Künstler Art Spiegelman, in den achtziger Jahren mit seinem Holocaust-Comic "Maus" berühmt geworden, hat dieses immer noch gültige Bild geschaffen und es drei Jahre später auch als Cover für seinen Comicband "In the Shadow of no Towers" genommen, in dem er sehr eigenwillig und sehr persönlich auf die Ereignisse vom 11. September 2001 zurückblickt.

 

Erst jetzt, zum zehnjährigen Gedenktag, erscheint dieser großformatige Band auch auf Deutsch. Einzelne Seiten allerdings sind bei uns sogar noch vor deren US-Veröffentlichung in der "Zeit" publiziert worden, Spiegelman hatte 2002 nämlich ein Angebot des Freundes und damaligen Herausgebers Michael Naumann angenommen. Selbst die liberale "New York Times", so der Künstler, habe seine Arbeiten in jenen Tagen abgelehnt, sie wären in der patriotisch überhitzten Atmosphäre seines Landes wohl nicht vermittelbar gewesen. Spiegelman wohnt zwar in Lower Manhattan, "diesem chaotischen Stadtteil, den ich aufrichtig Heimat nenne", aber er ließ sich von dieser Atmosphäre nicht anstecken.

Eine Art Collage

An diesem 11. September durchlebt Spiegelman - und von seinen Erlebnissen handelt der Comic - Gefühle wie Angst, Verwirrung und Zorn. Er hetzt direkt nach dem Anschlag verzweifelt durch eine schwer verwundete Stadt, um seinen Sohn von der UN-Schule abzuholen, sorgt sich um seine Tochter, bricht schließlich in Tränen aus, als er und seine Frau die Kinder wieder in die Arme schließen können. Aber bei all dem bleibt er auch ein wacher Beobachter, der inmitten von Staub und Trümmern die Kinowerbung zum Schwarzenegger-Thriller "Collateral Damage" sieht und die böse Ironie erkennt. Und er erkennt dann auch bald, dass der Terroranschlag instrumentalisiert wird, dass Präsident Bush und Co. ("Die Architekten von Armageddon") die Bürgerrechte einschränken und 9/11 auf ein "Kriegsrekrutierungsposter reduzieren".

"Das entscheidende Bild meines 9/11-Morgens, das Jahre später immer noch auf der Innenseite meiner Augenlider eingebrannt ist, ist der Anblick des aufragenden glühenden Gerippes des Nordturms, Sekunden bevor er sich in Staub auflöste", schreibt Spiegelman. Dieses Bild lässt er als am Computer entstandene Rekonstruktion durch die Seiten wandern, weil es ihm als Zeichnung nicht gelingen will. Überhaupt fällt es ihm schwer, diese Tage künstlerisch zu verarbeiten, er schafft es nicht, die in alle Richtungen streuenden Aus- und Nachwirkungen in eine Form zu zwingen. "Im Schatten keiner Türme" zeigt Spiegelman auf der Suche nach seinem Ausdruck, bei der er Stilarten des Comics ausprobiert, Cartoons einfügt oder Essayistisches zugibt, letztlich also eine Art Collage vorlegt.

Spiegelman ist ein akribischer Arbeiter

Aber gerade diese Vielfalt erweist sich als angemessenes Mittel, die weder in ihrer Gleichzeitigkeit noch als Ganzes zu fassenden Ereignisse wenigstens zu umkreisen. Wenn Spiegelman hier vom Autobiografischen ins Politische springt, wirkt das aber nur auf den ersten Blick spielerisch improvisiert. Tatsächlich ist dieser hochintellektuelle Künstler ein akribischer Arbeiter, bei dem auch scheinbar simple Zeichnungen die Essenz eines gedanklichen Prozesses sind, der durch viele Hirnwindungen gegangen ist. Wenn Spiegelman etwa in personaler Form von sich erzählt, also nicht "Ich" sagt, sondern "Er" schreibt, drückt sich darin der Versuch aus, ganz bewusst Distanz zu gewinnen.

Zu dieser besonderen Art der Selbsttherapie gehört auch, dass Spiegelman immer wieder in das Alter Ego seiner "Maus"-Comics schlüpft. Die Verfremdung treibt er dann noch weiter, er macht die Distanz noch größer, indem er sich auch Stile und Figuren klassischer US-Comic-Strips ausborgt, also die "Katzenjammer-Kids", "Little Nemo" oder "Krazy Kat" in die böse Gegenwart bringt. Und diese Comics zitiert er dann nicht nur, sondern druckt sie am Ende seines Bandes sogar im Original nach, lässt sie also für sich sprechen. Er habe damals Trost in deren Lektüre gefunden, sagt Art Spiegelman, und so sind diese letzten Seiten auch als Angebot an den Leser zu verstehen, diesen Trost als Geschenk anzunehmen.

Art Spiegelman: Im Schatten keiner Türme. Atrium Verlag, Zürich. 42 Seiten, 34, 90 Euro.

Mehr Informationen zu den Anschlägen am 11. September gibt es hier.