Ein Kunstprojekt von Ulmern für Ulmer versöhnt mit mancher Panne im Feierprogramm in Erinnerung an den höchsten Kirchturm der Welt.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Die Grünen im Ulmer Gemeinderat wollen per offizieller Anfrage wissen, wer die Architekten einer öffentlichen Schmach sind, die mit dem geplatzten „Ulmer Oratorium“ über die Stadt gekommen ist. Der zyprische Komponist Marios Elia, man erinnert sich, hat sein Tonwerk nicht fristgemäß liefern können, und nun fliegen die Vorwürfe zwischen ihm und der Verwaltungsspitze hin und her. Die Summe von einer halben Million Euro war für die Aufführung Ende Mai verplant und teilweise schon ausgegeben worden.

 

Lange Gesichter gab’s in Ulm aber schon vorher, genauer gesagt zum Jahresbeginn, als die Lichtinstallation des Stuttgarter Künstlers Joachim Fleischer, montiert hoch droben in der Turmspitze, gestartet wurde. 23 bewegliche LED-Scheinwerfer sorgen ab Sonnenuntergang noch das ganze Jahr über für Kontraste – zum Preis von 240 000 Euro. „Ist das alles?“ fragen seither viele Ulmer auf dem Münsterplatz, und sie meinen damit nicht das Geld, sondern den enttäuschenden Eindruck, den das Lichtspiel auf sie macht.

Alles ist furchtbar politisch geworden

Da also dieses 125-Jahr-Jubiläum mit der Kündigung des Komponistenvertrages durch das Rathaus so furchtbar politisch geworden ist, fällt es den Ulmern um so schwerer, sich in Freude einzuschwingen. Für einmal aber ist es doch schon gelungen, wie noch bis 17. April im Foyer des Stadthauses am Münsterplatz zu sehen ist. Dort hängt eine „Bürgerkette“, die mit 161,53 Meter exakt so lang ist wie der Münsterturm hoch. Geschaffen wurde sie von 284 Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, montiert im Goldschmiede-Atelier von Gisela und Ira Dentler.

Ira Dentler ist die Tochter des 2006 verstorbenen stadtbekannten Goldschmieds und Künstlers Rudolf Dentler, der stets am Schwörmontag in die Rolle des „Königs von Ulm“ schlüpfte und, alternativ zur Schwörrede des Oberbürgermeisters, vor treuem Publikum eine philosophisch tragende „Thronrede“ hielt. Dass „alle Bürger an einem Strang ziehen“, das habe später ihrer Mutter Gisela vorgeschwebt, sagt Ira Dentler. Mit dem Münsterjubiläum habe sich in diesem Jahr endlich der richtige Moment ergeben.

Auch eine Klorolle gehört dazu

Was sich die Ulmer innerhalb des vergangenen Jahres alles für diese Bürgerkette haben einfallen lassen, hätten die Dentlers dann selbst nicht geglaubt. Da sind Brillen zu sehen, die achtlose oder von Ehrfurcht übermannte Besucher des Münsters über die Jahre vergaßen. Oder aufgefädelte Bierdeckel, Papp-Überbleibsel Ulmer Brauereidynastien. Das Bier hat auch für Studenten Bedeutung, wie mehrere verbogene Flaschendeckel ahnen lassen, die Teil einer weiteren Installation sind, zu der noch Chemiehandschuhe und eine Klorolle mit der Aufschrift „Student“ gehören.

Ist das Kunst? Aber unbedingt. Und Kontemplation. Und Glaube und Liebe zu dieser Stadt, ausgedrückt durch simpel ausgeschnittene Herzchen aus Folie, aufgefädelte Flusskieselsteine aus der Donau oder Baumrinde von den Flussauen. Aber nicht irgend eine Rinde, sondern solche, in die der Biber, in Ulm immer wieder angefeindet ob seiner Verachtung gegenüber kleinräumigen Wohnkonzepten, seine Zähne schlug.

Symbolik überall, auch wenn sie platt ausfällt

Wer’s schlichter und weniger messianisch mag, guckt halt das Foto eines Ulmer Busses an, gleichsam Symbol des Wohlstands an der Donau, wo der Name Kässbohrer gedieh, bis er dem global mehr tauglichen Begriff Evobus weichen musste. Nicht weit davon findet sich das Münster als Stickerei wieder, angeliefert von türkischen Mitbürgern, die sich längst als echte Ulmer verstehen. Dazwischen ein Wust an Schlüsseln, Kreuzen, Figuren und Figürchen, deren Symbolik dem flüchtigen Beschauer wohl verborgen bleiben muss.

Eitles Spiel, vielleicht, aber dazwischen wieder ein Kreuz, ein Stück Holz und ein Zirkel, zusammengefügt zu einem Kettenglied, das die Nachfahren eines Mannes in Dentlers Werkstatt trugen, der 1884 beim Bau des Münsters tödlich verunglückte. Ein amtliches Schriftstück aus dieser Zeit hat den Unfall dokumentiert.

Die kleine Rache der Initiatorin

Schüler haben an der Kette mitgearbeitet, Künstler und Laien, Bürger mit strotzender Gesundheit und mit Handycap. Leider, sagt Ira Dentler, habe man zum Schluss des Projekts eine ganze Reihe von Arbeiten nicht mehr annehmen können.

Sie selbst ist stolz auf das Ergebnis. Vor allem, weil die Bürgerkette ohne einen einzigen Cent aus der Stadtkasse entstanden ist. Einen Förderantrag hatte der Gemeinderat abgelehnt. Die Goldschmiedin hat es verwunden – und sich mit einer kleinen Boshaftigkeit gerächt. In der Kette verbirgt sich der Torso einer Playmobilfigur. „Den habe ich den kopflosen Gemeinderat genannt“, sagt die Initiatorin. So viel Politik muss auch in dieser Kunst schon sein.