Vor 150 Jahren wurde die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. In Bremen wird das Jubiläum mit einem Festakt begangen.

Bremen - Das Seenotsignal kommt von einer Funkboje, die automatisch einen Notruf sendet, wenn sie über Bord geht. Irgendetwas muss also passiert sein, draußen im Atlantik, westlich von Marokko. Die gesendete Kennung zeigt: Die Boje gehört zu einer Segeljacht aus Deutschland. Damit ist das hier ein Fall für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in der fernen Hansestadt Bremen.

 

Am kommenden Freitag feiert der gemeinnützige Verein seinen 150. Geburtstag. Aber Wilhelm Elies (60) und Sven Goldammer (53) ist das im Moment egal. Die beiden Wachleiter der DGzRS-Seenotleitung haben Wichtigeres zu tun: Sie versuchen herauszufinden, was da draußen passiert ist. „Es gibt eine Datenbank mit Angaben über Schiffseigner“, erzählt Elies. Das Problem ist nur: keine der hinterlegten Telefonnummern ist erreichbar.

Schließlich übergeben die Bremer den Fall an Kollegen in Lissabon. Diese schicken ein Suchflugzeug los. Und siehe da: alles in Ordnung, nur ein Fehlalarm. Elies und Goldammer haben mehrere Stunden umsonst gearbeitet. Aber lieber einmal zu viel als einmal zu wenig aktiv werden.

Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich erste Vereine

Diese Devise galt nicht immer. Noch vor zwei Jahrhunderten schauten die Einheimischen oft ungerührt zu, wenn an ihren Gestaden Schiffe auf Grund liefen. Unglücke galten als Schicksal oder göttliche Strafgerichte. Erst ab 1850 richtete die preußische Regierung Rettungsstationen an der Ostsee ein. Das nützte allerdings nichts, als 1854 vor der Nordseeinsel Spiekeroog das Auswandererschiff „Johanne“ strandete. 84 Menschen ertranken vor den Augen der Inselbewohner.

Unter dem Eindruck derartiger Katastrophen entstanden ab 1861 nach und nach regionale Vereine von Seenotrettern. Und weil diese sich am 29. Mai 1865, also vor 150 Jahren, zur DGzRS zusammenschlossen, darf jetzt gefeiert werden. Im Rückblick ist es kaum vorstellbar, wie primitiv vor 150 Jahren die Ausrüstung war. Die Retter ruderten gegen die Brandung an. Oder sie schossen vom Ufer aus eine Leine zum gestrandeten Segler. Da war es ein enormer Fortschritt, als 1911 das erste Motorrettungsboot in See stach.

Doch die Moderne brach erst 1957 an. Ein neuer Schiffstyp wurde in Dienst gestellt, mit 37 Stundenkilometern doppelt so schnell wie bislang, beim Kentern sich selbst aufrichtend und mit einem Tochterboot mit an Bord. Heute kommandiert die Bremer Zentrale eine Flotte von 60 kleinen und großen Wasserfahrzeugen an 54 Stationen, seit 1990 auch wieder im Osten.

180 Hauptamtliche arbeiten bei der DGzRS

Was Landratten am ehesten kennen, sind die klassischen Rettungskreuzer mit offenem Fahrstand und bis zu 27,5 Metern Länge. Bei neueren Modellen steht die Besatzung nicht mehr im Regen. Der größte Kreuzer mit geschlossener Kommandobrücke bringt es auf 46 Meter Länge. Sein Heimathafen: Helgoland.

Eng ist es auf den Kreuzern, jedenfalls wenn man bedenkt, dass hier vier Männer zwei Wochen lang rund um die Uhr miteinander klarkommen müssen. Sie schlafen in Kammern unter Deck, sie sehen fern im Gemeinschaftsraum und sie kochen reihum in einer kleinen Kombüse.

180 Hauptamtliche wechseln sich auf den 20 Kreuzern ab. Nautiker und Techniker sind dabei, die früher auf großer Fahrt waren und dann doch lieber heimatnah arbeiten wollten. Jederzeit müssen sie mit einem Einsatz rechnen, der sie schlimmstenfalls das Leben kosten kann. Ihr Motto: „Rausfahren, wenn andere reinkommen“. Das Wort „Angst“ mögen sie trotzdem nicht hören. Lieber nennen sie es „Respekt“ – Respekt vor den Naturgewalten und dem Risiko. In anderthalb Jahrhunderten blieben 45 DGzRS-Männer auf See.

In 150 Jahren wurden 82000 Seeleute gerettet

Neben den festangestellten Besatzungen engagieren sich auch über 800 Freiwillige. Sie betreiben die kleineren Rettungsstationen. Wenn vor Juist oder in Ueckermünde ein Havarist Hilfe braucht, schickt die Leitstelle eine SMS an die Außenpostenmitarbeiter, und die eilen dann zu ihren Sieben- bis Zehn-Meter-Booten – ähnlich wie die Kollegen von der freiwilligen Feuerwehr zu ihren Löschfahrzeugen.

Die Bilanz nach 150 Jahren: 82 000 Seeleute und Freizeitskipper wurden gerettet, im vergangenen Jahr 2183. Nicht immer ging es dabei um Leben und Tod, manchmal war auch nur die Steuerung ausgefallen.

Und wer bezahlt das alles? „Die Arbeit des deutschen Seenotrettungsdienstes wird ausschließlich durch Spenden und freiwillige Zuwendungen finanziert“, betont die DGzRS. 300 000 Förderer überweisen regelmäßig Geld, Reedereien tragen 1,5 Millionen Euro bei, und Gelegenheitsspender füllen die 14 000 Sammelschiffchen. Die stehen nicht nur in Kneipen, sondern auch im Bremer Senatssaal.

Die Rettung von Menschen in Seenot bleibt kostenlos

Bei der Definition der „freiwilligen Zuwendungen“ ist die Organisation allerdings großzügig. Dazu zählt sie nämlich auch Bußgelder aus eingestellten Strafverfahren, fast 400 000 Euro pro Jahr. Das Freiwillige daran, sagt der Verein, sei die Entscheidung der Richter, diese Geldauflagen an die DGzRS und nicht an andere Institutionen fließen zu lassen.

Weitere Gelder nimmt die Gesellschaft ein, wenn sie Kranke von Inseln zu Festlandkliniken bringt; das zahlen die Krankenkassen. Oder wenn sie technische Hilfe leistet, etwa havarierte Boote abschleppt. Doch das bringt höchstens 400 Euro pro Einsatz – nicht viel angesichts eines Jahresetats von 36 Millionen Euro. Die DGzRS versichert indes: nur zusätzliche Aufgaben würden berechnet. Die Suche und Rettung von Menschen in Not bleibe kostenlos.