Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband gewinnt neue Mitglieder. Die meisten kommen aus dem Bereich der 220 Volks- und Raiffeisenbanken. Die meisten neuen Genossenschaften wurden 2013 als Energiegenossenschaften gegründet.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Sie vergeben Kredite und verkaufen Kraftfutter, sie handeln mit Sporttrikots und Saatgut, sie werben für Wein und bauen Windräder – die Genossenschaften im Südwesten. In Baden-Württemberg haben sie 3,7 Millionen Mitglieder, jeder dritte Einwohner des Südweststaats ist auf irgendeine Weise Genosse – als Bankmitglied oder als Bauer, als Arzt oder Dorfladenbetreiber. Die stolze Zahl kommt auch deswegen zustande, weil es allein knapp 3,6 Millionen Menschen im Südwesten gibt, die Anteile an Volks- und Raiffeisenbanken gekauft haben – sie sind Genossen und oftmals ist ihnen das gar nicht so recht bewusst.

 

Das Modell der Genossenschaften wurde in den vergangenen Jahrzehnten oftmals als antiquiert und verstaubt belächelt – tatsächlich aber kamen allein im vergangenen Jahr zwischen Main und Bodensee mehr als 70 000 neue Mitglieder hinzu – dies ganz überwiegend bei den genossenschaftlichen Banken. Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband vereint unter seinem Dach mehr als 900 einzelne Genossenschaften. Die meisten Gründungen des vergangenen Jahres waren Zusammenschlüsse von Bürgern, die Windräder aufstellten oder Solarzellen auf Dächer pflanzten. Die Energiewende gab der Genossenschaftsidee neue Kraft. Gegründet wurden 2013 aber auch Ärztegenossenschaften, Kooperationen von Gärtnern und Druckereien, entstanden ist selbst ein Hallenbad auf genossenschaftlicher Basis. „Baden-Württemberg ist das Land der Genossenschaften“, meint denn auch der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, Roman Glaser.

Noch heute loben die Genossen die Grundsätze, denen sie schon bei der Gründung vor 150 Jahren huldigten: Ein Mitglied, eine Stimme, Hilfe zur Selbsthilfe, regionale Ausrichtung. Die Verbandsoberen sind nicht die Chefs der einzelnen Genossenschaften, sondern werden letztlich von diesen gewählt. Man schreibt den 21. August 1864, als in Stuttgart in Anwesenheit von Hermann Schulze-Delitzsch der „Verband wirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg und Baden“ aus der Taufe gehoben wird.

Südwesten war keineswegs Vorreiter

Mit der Gründung allerdings war der Südwesten keineswegs Vorreiter: Schon 1849 hatten sich auf die Anregung von Schulze-Delitzsch sächsische Handwerker zu Einkaufsgenossenschaften zusammengeschlossen. Und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der andere Urvater des Genossenschaftswesens, hatte bereits 1846 als Bürgermeister von Weyersbusch im Westerwald auf den Hungerwinter 1846/47 reagiert. Seine Gründung war eine Genossenschaft, die Mehl auf Kredit verkaufte.

Auch der gemeinsame Verband für Württemberg und Baden hatte nicht lange Bestand. Noch Anfang dieses Jahrhunderts wurde von dem badischen Genossenschaftspräsidenten Egon Gushurst der Satz kolportiert, lieber gehe er „mit Berlin zusammen als mit Württemberg“. Der württembergische Genossenschaftspräsident Erwin Kuhn brachte wegen der badischen Widerstände auch einen Zusammenschluss von Württemberg und Bayern ins Spiel – doch auch diese Pläne scheiterten. Im Herbst 2008 endlich entschieden sich Badener und Württemberger, künftig gemeinsam zu marschieren. Kuhn war damals 63 und konnte in den Ruhestand gehen. Als Präsident der gemeinsamen Organisation wurde der 56 Jahre alte Badener Gerhard Roßwog gewählt, Hauptsitze sind bis heute Stuttgart und Karlsruhe.

Natürlich hängt nicht alles daran, welche Präsidenten gerade am Ruder sind – aber der Altersunterschied zwischen Kuhn und Roßwog wurde seinerzeit als glückliche Fügung verstanden. „Das ist Geschichte“, sagt Geno-Präsident Glaser zu schwäbisch-badischen Mißhelligkeiten. Der gebürtige Baden-Badener war zuvor Vorstandsvorsitzender bei der Volksbank Baden-Baden, hat während Studium und Promotion in Stuttgart-Hohenheim aber auch schon schwäbische Luft geschnuppert.

Im Zeichen von Fusionen

Die vergangenen Jahre standen vielfach im Zeichen von Fusionen. In der Landeshauptstadt etwa ist die heutige Stuttgarter Volksbank ein Ergebnis von Zusammenschlüssen – nach mehreren Runden des Fusionskarussells gingen etwa Filderbank, Württembergische Handelsbank, bekannt auch als „Metzgerbank“, Stuttgarter Bank und Volksbank Rems in dem traditionellen Geldhaus auf. Im Augenblick machen vor allem Zusammenschlüsse der Wengerter von sich Reden – der jüngste ist der Anschluss der Weingärtnergenossenschaft Grantschen an die ebenfalls aus einer Fusion hervorgegangene Genossenschaftskellerei Heilbronn-Erlenbach-Weinsberg.

Der Trend zur Größe indes, so notwendig er auch wirtschaftlich sein mag, birgt auch Gefahren: Das ohnehin oft nicht sonderlich ausgeprägte Prinzip der Mitsprache des einzelnen Mitglieds könnte dadurch ausgehebelt werden. Im Gegensatz zu solchen Befürchtungen aber meint zumindest Glaser, bei den Genossenschaften komme der Wille, die Mitglieder mitreden zu lassen, „wieder verstärkt zur Geltung“.