Beim Debakel in Dortmund leistet sich der VfB Stuttgart haarsträubende Nachlässigkeiten in der Abwehr. Vor allem nach der Pause hatten die Stuttgarter dem Angriffswirbel des Champions-League-Finalisten nichts entgegenzusetzen. Das Spiel in der StZ-Analyse.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Dortmund - Der grenzenlose Frust ist Moritz Leitner deutlich anzusehen. Mit einer mächtigen Grätsche streckt der VfB-Mittelfeldspieler erst einen Gegenspieler nieder; Sekunden danach wird er ausgewechselt und trottet mit gesenktem Kopf zum Spielfeldrand. So gerne wollte die Leihgabe bei seiner Rückkehr nach Dortmund zeigen, was in ihm steckt – und ist nicht der einzige Stuttgarter, der sich den Abend ganz anders vorgestellt hat.

 

Mit 1:6 (1:2) ist der VfB bei Borussia Dortmund untergangen. Vor allem nach der Pause hatten die Stuttgarter dem Angriffswirbel des Champions-League-Finalisten nichts entgegenzusetzen und leisteten kaum mehr Gegenwehr. „Das war ein bitteres Spiel, wir waren klar unterlegen“, sagte der VfB-Trainer Schneider: „Mit einer Mannschaft wie Dortmund können wir uns momentan nicht messen.“

Mut und Risikobereitschaft hatte der Trainer von seiner Mannschaft gefordert – und beides auch mit seiner Aufstellung demonstriert. Beide Flügel besetzte der Trainer neu: Rechts musste Martin Harnik für den 20-jährigen Leitner weichen. Und der erst 17-jährige Timo Werner durfte anstelle von Ibrahima Traoré auf links beginnen – auch weil der Schüler diese Woche Ferien gehabt habe und entsprechend ausgeruht gewesen sei, wie Schneider erklärte.

Früh attackiert

In der Anfangsphase setzte der VfB die Forderung des Trainers tatsächlich um. Die Gäste attackierten früh und versuchten, schnell nach vorne zu spielen. Der überraschende Lohn war das 1:0 durch den Neuzugang Karim Haggui (13.). Mit dem Kopf verwertete der aufgerückte Innenverteidiger, der den Vorzug gegenüber Georg Niedermeier bekommen hatte, einen Eckball von Alexandru Maxim. Es war bereits das sechste Tor in dieser Saison, zu dem der rumänische Spielmacher mit einer Standardsituation die Vorarbeit geliefert hatte.

Ecke, Kopfball, Tor – das kann freilich auch die Borussia, wie sich nur sechs Minuten später zeigte: In dem von Bremen nach Dortmund gewechselten Sokratis war es ebenfalls ein neuer Abwehrspieler, der nach Flanke von Nuri Sahin zur Stelle war. Fatal aus VfB-Sicht, dass ausgerechnet der schmächtige (und nicht nur in dieser Szene völlig überforderte) Gotoku Sakai dem bulligen Verteidiger zugeordnet war.

Wieder einmal schaffte es der VfB also nicht, eine Führung über längere Zeit zu halten. „Wir sind in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Das ist gnadenlos bestraft worden“, sagte Schneider. Nach einem Alleingang traf Marco Reus mit einem satten Linksschuss zum 2:1 für den BVB (22.). Viel zu unentschlossen war der Nationalspieler zuvor von William Kvist und Haggui angegriffen worden. Den anfangs durchaus forschen Angriffsbemühungen des VfB standen also auch gestern haarsträubende Nachlässigkeiten in der Abwehr gegenüber.

„Da muss man Elfmeter pfeifen“

Mit der Führung im Rücken erhöhten die Dortmunder im eigenen Stadion zunehmend den Druck – der größte Aufreger vor der Pause ereignete sich aber vor dem BVB-Tor: Nach einem Duell mit seinem Gegenspieler Kevin Großkreutz ging Timo Werner im Strafraum zu Boden(42.). „Da muss man Elfmeter pfeifen“, sagte der VfB-Manager Fredi Bobic. Das tat der Schiedsrichter Florian Meyer zunächst auch – nahm die Entscheidung nach Intervention seines Assistenten aber zurück und gab nur Schiedsrichterball. Groß war die Empörung auf der Stuttgarter Bank – „so etwas habe ich noch selten erlebt“, sagte Bobic.

Am Schiedsrichter lag es freilich nicht, dass der VfB unter die Räder geriet. Schuld waren vielmehr die Abwehrschwächen, die in der zweiten Hälfte noch größer waren als in der ersten. Staunende Zuschauer waren die Stuttgarter Verteidiger, als dem Dortmunder Starstürmer Robert Lewandowski ein Hattrick innerhalb von 18 Minuten gelang. Toreschießen leicht gemacht – so lautete das Motto auch beim letzten Treffer, mit dem der für Reus eingewechselte Pierre-Emerick Aubameyang (81.) die erste VfB-Niederlage unter Thomas Schneider besiegelte. „Mir war immer klar“, sagte Coach, „dass ich nicht als erster ungeschlagener Trainer in die Geschichte der Bundesliga eingehen würde.“