Auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas kündigt Präsident Xi Jinping langfristige Projekte an. Er will das Land zur ökologischen, lebenswerten Hochtechnik-Nation machen.

Peking - Die chinesische Wirtschaft ist in den ersten neun Monaten des Jahres erneut stark gewachsen. Das Bruttoinlandprodukt legte um 6,9 Prozent zu, wie das Nationale Statistikamt in Peking am Donnerstag mitteilte. Die Veröffentlichung der Quartalsdaten erfolgte turnusgemäß an diesem Tag, fiel aber mit dem Beginn eines Mega-Ereignisses mit wirtschaftspolitischer Bedeutung zusammen: Auf dem Parteikongress der Kommunisten debattieren die Delegierten über den künftigen Kurs der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

 

Das aktuell hohe Wachstum ist dabei bereits Ausdruck der Konjunkturpolitik der vergangenen Jahre: Die Partei hat eine Reihe von Wirtschaftszweigen gezielt fördern lassen, um das Wachstum hoch zu halten. Auch die Kreditvergabe blieb auf einem hohen Niveau. Zugleich ist es gelungen, die Überkapazitäten in Branchen wie Kohle, Stahl und Beton etwas zu verringern. „Die Qualität und die Effizienz des Wachstums haben sich in bemerkenswertem Maße erhöht“, stellte dementsprechend auch das Statistikamt fest.

Die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage gibt der Partei Luft, um ihr Reformprogramm umzusetzen. Präsident Xi Jinping hat auf dem Parteikongress die Eckpunkte für eine Reihe von Zukunftsplänen dargestellt. Sie beinhalten eine Mischung aus staatlicher Lenkung auf der einen Seite bei deutlichen Deregulierungen auf der anderen Seite, um China zu einem führenden Hochtechnik-Land zu machen. Xi versprach zudem „aktiv den Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung mitzugestalten und voranzutreiben, um die nach außen geöffnete Wirtschaft auf ein höheres Niveau zu bringen“. Er verpflichtet sich also zu einer Politik der offenen Grenzen.

Bis 2035 will China zum Innovationsführer aufsteigen

Der chinesische Präsident hat zudem eine Vision für Chinas Entwicklung bis zum Jahr 2049 umrissen. „Die langfristige Natur dieses Plans ist bemerkenswert“, sagt Julia Wang, Ökonomin bei der Großbank HSBC in Hongkong. Bisher habe sich kein Parteiführer auf einen so weitreichenden Ausblick festgelegt. Xis Ansatz ist zweistufig: Bis 2035 soll China zu einem Innovationsführer in allen wichtigen Technikbranchen aufsteigen. Wichtige Themen sind hier Rechtssicherheit, Umweltschutz, und die Bedürfnisse der wachsenden Mittelklasse. Im nächsten Fünfzehnjahreszeitraum von 2035 bis 2049 soll China dann „modern, stark und wohlhabend“ werden – sprich: auf dem heutigen Niveau von USA und EU, nur besser.

Für die deutsche Wirtschaft sind das gemischte Nachrichten. Chinas unverminderte Vitalität ist auf jeden Fall positiv, schließlich stecken dort erhebliche Investitionen. Das Land hat weiterhin einen ehrgeizigen Entwicklungsplan und die Mittel, ihn auch zu verwirklichen. Gerade die Punkte, die Xi anspricht, lassen auf weiterhin gute Zusammenarbeit hoffen. Umweltschutz, ein hoher Lebensstandard der Mittelklasse, die Entwicklung der Gesundheitsversorgung, Mobilität, Robotik – hier hat Deutschland viel zu bieten.

Doch es drohen auch Gefahren. Eine Auswertung des Mercator Institute for Chinese Studies (Merics) in Berlin zeigt, dass Südkorea und Deutschland am meisten von steigender Konkurrenz aus China in Technik-Branchen wie Robotern, Maschinen und Autos betroffen sein werden. Vertreter der deutschen Wirtschaft weisen gleichwohl darauf hin, dass die Weiterentwicklung Chinas sich ohnehin nicht aufhalten lässt. Deutschland positioniere sich am geschicktesten als Partner an der Seite des Aufsteigers.

Die Frage ist, inwieweit Deutschland künftig vom chinesischen Markt profitiert

Größere Sorge bereitet, dass China in seinen Langfristplänen auch einen steigenden Anteil an Wertschöpfung im Inland vorsieht. Der Marktanteil für internationale Anbieter dürfte dementsprechend schrumpfen. Ökonomen und Manager warnen daher, dass Xis Versprechen einer Marktöffnung ein Lippenbekenntnis bleiben könnte. Statt dessen droht mehr Protektionismus. Die Kommunisten haben bereits auf ihrem vorigen Parteitag 2012 eine weiter Marktöffnung in Aussicht gestellt. Die Bilanz fällt jedoch bestenfalls durchwachsen aus, warnt die EU-Handelskammer in Peking. China behandele die ausländischen Unternehmen weiterhin unfair, so das Fazit.

Doch damit kann Xi leben. Sein Fokus liegt letztlich auf der Innenpolitik: Er hat 1,4 Milliarden Bürger bei Laune zu halten. Als größte Herausforderung nannte Xi auf dem Parteitag den Unterschied zwischen der heutigen Realität und den gewachsenen Ansprüchen der Chinesen an ein „schönes Leben“. China soll dafür ein sauberes und aufgeräumtes Land mit einem funktionierenden Sozialsystem werden. Eine weitere Gefahr machte Xi bei der „unausgeglichenen Entwicklung aus“: Einige Branchen haben zu hohe Kredite aufgenommen, die Reichen werden immer reicher, die Preise für Wohnungen sind zu schnell gestiegen. Das Wachstum soll daher künftig weniger auf kreditfinanziertem Aufbau von Industrien wie Stahl, Kohle und Beton beruhen. Hier hatte die staatliche Förderung den Aufbau horrender Überkapazitäten begünstigt.

Vorrang hat die Stabilisierung des Arbeitsmarkts

Xis Ziel ist stattdessen ein „dynamisches Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“. Die künftigen Wachstumsbringer sollen die Informationstechnik, Dienstleistungen und innovative Branchen sein. Der Fokus bleibt jedoch auf der Realwirtschaft und der Herstellung konkreter Waren. Die chinesische Regierung wird parallel auch weiterhin teure, schuldfinanzierte Projekte durchziehen, um die Infrastruktur auf dem Lande zu entwickeln. Das schafft Jobs für einfache Arbeiter, die weiterhin dringend gebraucht werden. Die Stabilität des Arbeitsmarkts hat Vorrang vor allen anderen Überlegungen – die Sorge um die Effizienz oder neoliberale Theorien müssen hier zurücktreten. Das Gesamtziel sei ein „ökologisch ausgewogenes und lebenswertes Umfeld“, so Xi.