Vor 20 Jahren ist die Deutsche Bahn als Nachfolger von Bunds- und Reichsbahn gestartet. Die Bahn lobt sich dafür heute selbst, doch es hagelt auch Kritik.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Am 5. Januar 1994 ging die Deutsche Bahn AG (DB) als Nachfolger der Bundes- und Reichsbahn an den Start. Der Staatskonzern zieht 20 Jahre später eine überaus positive Bilanz der Reform. Für Kritiker dagegen wurden die Ziele nicht erreicht.

 

„Die Bahnreform   hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der Schienenverkehr in Deutschland nach Jahren des Niedergangs einen neuen Aufschwung erlebt hat und heute im europäischen Vergleich sehr erfolgreich dasteht“, bilanziert DB-Chef Rüdiger Grube. Die Bahnreform sei eines der größten und erfolgreichsten Reformprojekte im wiedervereinigten Deutschland. In einem breiten parlamentarischen Konsens seien damals das Grundgesetz geändert, sieben neue Gesetze erlassen sowie 130 Gesetze geändert worden. Für Grube zeigt die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, dass sich der Kraftakt gelohnt habe. Der deutsche Bahnmarkt sei attraktiv und es herrsche intensiver Wettbewerb zwischen Unternehmen aus ganz Europa. In anderen Ländern gelte das deutsche Modell als Vorbild für die Struktur eines effizienten Bahnsystems.

Mit der Bahnreform vom 1. Januar 1994 wurden die Deutsche Bundesbahn und die DDR-Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG vereint und deren Schuldenberge von 34 Milliarden Euro vom Staat übernommen. Von den rund 473 000 Arbeitsplätzen, die in beiden Bahnen beim Mauerfall existierten, blieben in der Folge weniger als die Hälfte übrig. Die DB AG beschäftigt heute nach zahlreichen Zukäufen wieder rund 300 000 Mitarbeiter in weltweit mehr als tausend Konzernfirmen.

Lage war desolat

Vor der Bahnreform galt die Lage der Staatsbahnen in Ost und West als desolat. Jahrzehntelang hatten wechselnde Bundesregierungen die Schiene sträflich vernachlässigt, Auto- und Luftverkehr einseitig gefördert. Auch in der DDR fuhr die Bahn auf Verschleiß, in Netz und Züge wurde viel zu wenig investiert. Die Folge davon war, dass der Marktanteil des Schienenpersonenverkehrs in Westdeutschland seit 1950 von 37 auf nur noch sechs Prozent geschrumpft war, im Güterverkehr   von 56 auf 21 Prozent. Auch die DDR-Reichsbahn verlor nach dem Mauerfall in kurzer Zeit mehr als zwei Drittel ihres Geschäfts. Zudem machten beide Bahnen hohe Verluste und benötigten 1993 extreme Zuschüsse von fast 20 Milliarden Euro.

Mit der Bahnreform sollten mehr Verkehr auf die Schiene gebracht und der Bundeshaushalt entlastet werden. Dafür wurde die Bahn zur AG umgewandelt und unternehmerisch ausgerichtet. Zudem wurde das Schienennetz, das im DB-Konzern blieb, für neue Wettbewerber   geöffnet. Der Staat behielt die Verantwortung für die Infrastruktur und den Regionalverkehr, die der Steuerzahler als Aufgaben der Daseinsvorsorge jedes Jahr weiter mit hohen Beträgen finanziert.

Die Verkehrsbilanz der Bahnreform gilt als überschaubar. Die DB betont zwar, dass zwischen 1994 und 2012 der Personenverkehr auf der Schiene um 36 Prozent und der Güterverkehr um 56 Prozent zugelegt habe. Die Marktanteile der Bahn am gesamten Personenverkehr wuchsen jedoch nur wenig von 6,7 auf 8,2 Prozent und am gesamten Güterverkehr von 16,7 auf 17,2 Prozent. Dazu trugen auch mittlerweile 380 Konkurrenzbahnen bei, die ihren Marktanteil am Schienenverkehr seit 1999 von zwei auf 22 Prozent verelffachten.

Bahnhöfe, Gleise und Züge modernisiert

Für   den Steuerzahler hat die Bahnreform ebenfalls überschaubare Effekte gebracht. Zwischen 1994 und 2012 gab der Bund nach DB-Rechnung weitere 334 Milliarden Euro für den Schienenverkehr aus. Damit wurden Bahnhöfe, Gleise und Züge modernisiert und erneuert, der subventionierte Nahverkehr finanziert, die Auflösung der maroden ostdeutschen Reichsbahn abgefedert, die Pension für Zehntausende Bahnbeamte bestritten und die Abfindungen von mehr als 150 000 Bahnern finanziert, deren Stellen schon im ersten Jahrzehnt der Reform gestrichen wurden. Die nominelle jährliche Belastung des Bundeshaushalts sei aber von 20,5 auf 16,7 Milliarden Euro gesunken. Trotzdem seien 140,7 Milliarden in die Modernisierung des Schienenverkehrs geflossen, davon 67 Milliarden aus DB-Eigenmitteln. Zudem zahle der Konzern seit 2010 jedes Jahr 550 Millionen Euro Dividende an den Bund. Trotz der Erfolge sei das Netz aber weiter unterfinanziert und brauche mehr Zuschüsse, so die DB. Erst kürzlich hat Bahnchef Grube den Sanierungsstau beim Schienennetz auf sagenhafte 30 Milliarden Euro beziffert und sogar Streckensperrungen nicht ausgeschlossen, weil 1400 der 25 000 Bahnbrücken total marode seien.

Auch die unternehmerische Bilanz sieht der Konzern positiv. Statt drei Milliarden Euro Verlust wie noch 1994 habe die Bahn im Jahr 2012 rund 2,7 Milliarden Euro Vorsteuergewinn erzielt und sei die einzige ehemalige Staatsbahn in Europa gewesen, die deutlich schwarze Zahlen auswies. Dieser Erfolg dürfe nicht durch weiterhin zu geringe Investitionen des Staates in Schienennetz oder Strukturreformen wie die Trennung von Netz und Betrieb gefährdet werden, warnt der Konzern. Allerdings zieht der Konzern die Rekordgewinne zum großen Teil aus den vom Steuerzahler hoch subventionierten Sparten des Regionalverkehrs sowie aus dem Schienennetz. Dies führt zu Verzerrungen des Wettbewerbs, weshalb auch die EU ein Ende der Quersubventionierungen und eine bessere Trennung zwischen dem bezuschussten staatlichen Netz und dem privatwirtschaftlichen Verkehrssparten durchsetzen will.

Die Opposition im Bundestag sieht die Ziele der Bahnreform dagegen als nicht erreicht an. Der Wettbewerb auf der Schiene sei gering, die Abhängigkeit der DB vom Haushalt weiter hoch, kritisiert Matthias Gastel, Sprecher der Grünen für Bahnpolitik. „Jahrelang haben Verkehrsminister von Union und SPD zugesehen, wie ein auf maximale Rendite und Aktienkurse schielendes Spardiktat der Bahn erheblichen Schaden zugefügt hat“, schimpft Gastel. „Die DB AG durfte auf weltweiter Einkaufstour Milliarden ausgeben und gleichzeitig das heimische Schienennetz auf Verschleiß fahren.“

Wenig rentable Neubaustrecken als Problem

Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit liefere der Bahnkonzern nur bei den alljährlichen Fahrpreiserhöhungen, kritisieren die Grünen weiter. Ein Problem seien auch wenig rentable Neubaustrecken und politische Prestigeprojekte, die notwendige Investitionen in die Qualität des Bahnfahrens erschwerten. Dass Bahnchef Grube unlängst gegenüber Bahnkunden und Steuerzahlern einen Sanierungsstau eingestanden habe, der die Sicherheit des Zugverkehrs in Deutschland gefährde, sei „ein peinlicher und dennoch kaum überraschender Offenbarungseid“.

Die Grünen fordern daher „eine ehrliche Bilanz der Bahnpolitik seit 1994“ von der neuen schwarz-roten Bundesregierung, die sich einer neuen Debatte über die Zukunft des Schienenverkehrs in Deutschland stellen solle. Nötig seien eine neue Netzkonzeption und die Klärung bisher ungelöster   Struktur- und Wettbewerbsfragen. Auch die widersprüchliche Rolle der Bahn müsse neu definiert und ihre Unternehmensstrategie konsequent auf das Kerngeschäft ausgerichtet werden, nämlich umweltfreundliche und zuverlässige Mobilitätsangebote in Deutschland.