Die CDU wirft dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann vor, die Menschen umerziehen zu wollen. Der Verkehrsclub Deutschland hat in alten CDU-Positionen geblättert und vieles gefunden, was Hermann heute umsetzt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Verkehrsminister schwärmte in den höchsten Tönen von den Vorzügen des Fahrrades. Angesichts der ständigen Zunahme des Autoverkehrs besonders in den Städten und der starken Überlastung des Straßennetzes sei „eine Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel dringend geboten“. Neben dem öffentlichen Nahverkehr könne ein Ausbau der Radwege „spürbar zur Entlastung beitragen“. Kein Lärm, keine Abgase, wenig Platzbedarf – aus Sicht der Landesregierung sei das Fahrrad „das umweltfreundlichste Nahverkehrsmittel“. Es eigne sich gleichermaßen für den Weg zum Arbeitsplatz, für Besorgungen oder für Sport und Erholung. Nebst Bussen und Bahnen könne es dazu beitragen, „den zunehmenden Anteil von Haushalten mit Zwei- und Dritt-Pkws zu begrenzen“. Ziel der Regierung sei es, folgerte der Ressortchef, im Landesdurchschnitt einen Fahrradverkehrsanteil „von mindestens 20 Prozent zu erreichen“.

 

Typisch Winfried Hermann? Der grüne Verkehrsminister, selbst begeisterter Radfahrer, will die Baden-Württemberger zu ihrem Glück zwingen? Verteufelt mal wieder das Auto, das „gerade bei Kurzstreckenfahrten sehr verbrauchs- und emissionsintensiv“ sei? Beschreibt nur die Überlastung der Straßen, anstatt endlich neue zu bauen? So naheliegend dieser erste Reflex auf die Lobpreisung des Zweirades sein mag, so  falsch ist er. Es war ein Vorvorgänger Hermanns, der CDU-Politiker Hermann Schaufler, unter dessen Regie das Land im November 1993 ein „Fahrradkonzept“ erarbeitete. Heute, 22 Jahre danach, liest es sich ebenso zeitgemäß wie andere Erklärungen aus der Amtszeit Schauflers.

Freiwilliger Verhaltenswandel

Im Vorwort zum Generalverkehrsplan von 1995 etwa plädierte der Minister für eine „dauerhaft umweltverträgliche Mobilität“ dank einer „integrativen Verkehrspolitik“. Nur so lasse sich der Standort Baden-Württemberg langfristig sichern. Zentral für den Erfolg sei das „Ziel, Verkehr so weit wie möglich zu reduzieren“. Zwei Jahre später, 1997, appellierte der CDU-Mann direkt an die Bürger. Jeder Einzelne könne „eine Menge dafür tun, dass zwischen Umwelt, Mobilität und Lebensqualität kein unüberbrückbarer Gegensatz besteht“, schrieb er im Vorwort zur Broschüre „Kommunales Mobilitätsmanagement“. Durch Beratung und „Maßnahmen der Bewusstseinsbildung“ könne „ein freiwilliger Verhaltenswandel eingeleitet werden“, der nennenswert zur Lösung der Probleme beitrage. Schöner hätte das auch der Grüne Hermann nicht sagen können – nur dass ihm sofort vorgeworfen worden wäre, er wolle die Bürger umerziehen.

An die Erkenntnisse ihrer Vorgänger wurden die heutigen CDU-Oberen um Guido Wolf erinnert, als sie im Sommer um Vorschläge für die künftige Verkehrspolitik baten. Mehr als 150 Akteure schrieb die Fraktion an und fragte sie nach ihren Ideen, wie man zu einem modernen Konzept „zurückkehren“ könne. Die zahlreichen Antworten fänden nun Eingang in die parlamentarische Arbeit – „ein gelungenes Beispiel für eine Politik des Gehörtwerdens“, meint ein Fraktionssprecher.

Grün-Rot setzt alte CDU-Positionen um

Eine der Rückmeldungen kam damals vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland, kurz VCD. Tenor des Schreibens von Landeschef Matthias Lieb: die CDU müsse sich nur auf das besinnen, was sie einst als Regierungspartei für richtig erachtet habe. Vieles von dem, was Schaufler & Co. vor zwei Jahrzehnten formuliert hätten, werde heute von Grün-Rot umgesetzt. Die CDU versuche hingegen, „eine Kontra-Position zu entwerfen“ – und verabschiede sich damit von „ihren eigenen verkehrspolitischen Zielen der Vergangenheit“. Man würde es begrüßen, verblieb Lieb, wenn sie sich weiter dazu bekennen würde.

Nun, da das CDU-Programm und das Fraktionskonzept zur Verkehrspolitik vorliegen, sieht er diese Hoffnung enttäuscht: Das Papier lese sich „leider als totaler Gegenentwurf zu den CDU-Grundsätzen von vor 20 Jahren“. Die damals angestrebte Verkehrsvermeidung werde als „ideologische Gängelung“ abgelehnt, der Straßenbau solle forciert, beim Radverkehr hingegen gekürzt werden. Damit seien die einst so fortschrittlichen Konservativen „nicht zukunftsfähig, sondern rückwärtsgewandt“, bilanziert der VCD-Chef.

Die Landtags-CDU sieht es anders

Bei der Landtags-CDU wird das, kein Wunder, anders gesehen. Die Grundsätze des Verkehrsclubs („Die Mobilität der Zukunft schont die Umwelt, ist sicher und sozial gerecht . . .“) könne man „durchaus unterschreiben“, sagt der Sprecher Wolfs. Auch die zitierten Grundsätze aus den neunziger Jahren hätten für die Fraktion „bis heute Gültigkeit“; eine Abkehr davon gebe es nicht. Anders als der VCD aber bekenne man sich klar zum „Automobilland Baden-Württemberg“ und zu seiner Erfolgsgeschichte. Nötig sei ein „Paradigmenwechsel“, bei dem „jedes Verkehrsmittel entlang seiner Stärken gefördert und gestärkt“ werden müsse.

Von der Begeisterung für das Fahrrad aus Schauflers Zeiten klingt in der kurzen Passage dazu nicht mehr viel an. Man wolle „eine angemessene Förderung des Radverkehrs, jedoch keine Bevorzugung gegenüber anderen Verkehrsträgern“. Da war die CDU schon mal weiter, damals, 1993.