Wer sie Jahn stellt, der hört statt Entrüstung erst einmal Zahlen. "Jedes Jahr wollen 90.000 Menschen ihre Akte sehen. Es wird nicht weniger. Solange es dieses Bedürfnis gibt, kann man die Akten nicht schließen." Neue Fragesteller sind erst in letzter Zeit dazugekommen: Die Generation der Nachgeborenen will Dinge über ihre Angehörigen wissen.

 

"Als ich so alt war wie Sie, da wollten wir eigentlich auch nur Party machen", sagt Roland Jahn zu den Schülern. "Wir wollten lange Haare tragen und die Musik hören, die uns gefiel." Und dann erzählt er die Geschichte seines besten Freundes Matthias Domaschk, die auch seine Geschichte ist. Und in der Aula des Alten Gymnasiums Flensburg wird es mucksmäuschenstill.

Warum bestimmt der Staat den Musikgeschmack?

Roland Jahn stammt wie Domaschk aus Jena und ist dort Ende der 70er Jahre Teil einer Gruppe, die sich nach und nach in Opposition zum SED-Staat begibt. "Zum Widerstandskämpfer wird man nicht geboren", sagt Jahn. "Es braucht viele kleine Weichenstellungen in einer Biografie." Er selbst sieht sich als einen, der lange zwischen Anpassung und Opposition mäanderte. In der Schule attestiert ihm eine Lehrerin einen "Hang zur Opposition", da ist er noch FDJler. Aber er kann schlicht nicht verstehen, wieso der Staat darüber bestimmen muss, wer welche Musik hört.

1977 wird der Student Jahn exmatrikuliert, weil er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert. 1981 macht sein Freund "Matz" sich auf den Weg nach Ostberlin zu einer Party - gleichzeitig tagt dort die SED. Domaschk wird im Zug verhaftet, es heißt, er habe den Parteitag stören wollen. Nach einer Nacht in Haft unterschreibt Jahns Freund eine Verpflichtungserklärung des Ministeriums für Staatssicherheit - und wird wenig später tot in seiner Zelle gefunden. Die Stasi behauptet, Domaschk habe sich umgebracht, was seine Freunde bezweifeln.

Wie erging es meinen Angehörigen?

Wer sie Jahn stellt, der hört statt Entrüstung erst einmal Zahlen. "Jedes Jahr wollen 90.000 Menschen ihre Akte sehen. Es wird nicht weniger. Solange es dieses Bedürfnis gibt, kann man die Akten nicht schließen." Neue Fragesteller sind erst in letzter Zeit dazugekommen: Die Generation der Nachgeborenen will Dinge über ihre Angehörigen wissen.

"Als ich so alt war wie Sie, da wollten wir eigentlich auch nur Party machen", sagt Roland Jahn zu den Schülern. "Wir wollten lange Haare tragen und die Musik hören, die uns gefiel." Und dann erzählt er die Geschichte seines besten Freundes Matthias Domaschk, die auch seine Geschichte ist. Und in der Aula des Alten Gymnasiums Flensburg wird es mucksmäuschenstill.

Warum bestimmt der Staat den Musikgeschmack?

Roland Jahn stammt wie Domaschk aus Jena und ist dort Ende der 70er Jahre Teil einer Gruppe, die sich nach und nach in Opposition zum SED-Staat begibt. "Zum Widerstandskämpfer wird man nicht geboren", sagt Jahn. "Es braucht viele kleine Weichenstellungen in einer Biografie." Er selbst sieht sich als einen, der lange zwischen Anpassung und Opposition mäanderte. In der Schule attestiert ihm eine Lehrerin einen "Hang zur Opposition", da ist er noch FDJler. Aber er kann schlicht nicht verstehen, wieso der Staat darüber bestimmen muss, wer welche Musik hört.

1977 wird der Student Jahn exmatrikuliert, weil er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert. 1981 macht sein Freund "Matz" sich auf den Weg nach Ostberlin zu einer Party - gleichzeitig tagt dort die SED. Domaschk wird im Zug verhaftet, es heißt, er habe den Parteitag stören wollen. Nach einer Nacht in Haft unterschreibt Jahns Freund eine Verpflichtungserklärung des Ministeriums für Staatssicherheit - und wird wenig später tot in seiner Zelle gefunden. Die Stasi behauptet, Domaschk habe sich umgebracht, was seine Freunde bezweifeln.

Man verbannte ihn aus der DDR

Dieses Ereignis radikalisiert Roland Jahn. "Wir wussten, es geht um Leben und Tod", sagt er später darüber. Der junge Familienvater protestiert in spontanen Einzelaktionen - er hält bei einer offiziellen staatlichen Kundgebung ein schneeweißes Plakat in die Luft, aus Protest gegen Zensur. Er schaltet mit anderen eine Todesanzeige für seinen Freund Domaschk in der SED-Zeitung, kauft Dutzende von Exemplaren und klebt die Anzeigen in Jena an Laternenmasten. Roland Jahn kommt selbst in Haft, wird verurteilt, aber nach Protesten aus dem Westen vorzeitig freigelassen. 1983 landet er im Westen: Die DDR hat ihn zwangsausgewiesen, in Knebelketten wird er in einen Interzonenzug verfrachtet.

Wenn er davon berichtet - oder aus dem Knast, davon, wie der Vernehmer seiner ebenfalls inhaftierten Ehefrau zur Abendzeit das Sandmännchen vorspielte, um an die gemeinsame Tochter zu erinnern, dann gibt es keinen Zuhörer, der unberührt bleibt. Dann ist auch hier, in der Aula in Flensburg, die DDR auf einmal kein fernes, längst verglommenes Paralleluniversum mehr. "Es geht darum", sagt Roland Jahn wenig später, "den Menschen deutlich zu machen, dass diese Akten nicht nur beschriebenes Papier sind. Die Stasi, das war nicht nur ein Apparat, das waren handelnde Individuen. Und die haben das Leben von Menschen verändert."

Denkt Jahn an Rache?

Roland Jahn hat sein ganzes Leben mit dem Machtapparat der DDR verbracht - auch im Westen. Er arbeitete als Fernsehjournalist, unterstützte die Protestbewegung mit Kameras und Material und berichtete wieder und wieder über die DDR, den Mauerfall, die Täter, die Opfer. Seine Biografie war und ist Roland Jahns großer innerer Antrieb. Sie ist von unschätzbarem Wert: Die Opfer fühlen sich von ihm vertreten und beschützt. Und Zuhörer wie jene Schüler erreicht er durch jede noch so dicke Gleichgültigkeitsschicht. Aber Jahns Geschichte ist auch eine, die eine Frage aufwirft: Spielt Rache für ihn eine Rolle? Ist hier einer im Amt, den Emotionen leiten?

Als Jahn das Amt im März dieses Jahres antrat, sah es für manche so aus. Denn er bestand schon in seiner Antrittsrede darauf, dass 47 Mitarbeiter der Behörde, die einst bei der Stasi beschäftigt waren, nach 20 Jahren gehen müssten. Schon Marianne Birthler hatte das versucht, war aber an der Gesetzeslage gescheitert. Schließlich waren die Beschäftigten seinerzeit von Gauck in dem Wissen um ihre Vergangenheit eingestellt worden - weshalb man sie nach allen rechtsstaatlichen Regeln deshalb nicht kündigen kann. Jahn aber setzte nun durch, dass der Bundestag in diesem Punkt das Stasiunterlagen-Gesetz änderte. Eine wenig rechtsstaatliche Willkürhandlung, finden Kritiker wie der SPD-Politiker Richard Schröder. In einem geharnischten Essay im "Spiegel" schrieb der Theologe: "Die Gefühle der Opfer dürfen rechtsstaatliche Grundsätze nicht relativieren." Wenn Opfer wie Richter agierten, entspreche das dem System der Blutrache.

Sein Amt ist eine "Opferschutzbehörde"

Jahn sagt dazu wenig, außer, dass er "einen Hauch verletzt" sei. Er argumentiert mit den Opfern, die darauf vertrauen können müssten, keinem alten Stasivertreter zu begegnen. Er wolle seine Biografie einbringen, sagt er von sich selbst. "Mit meiner Person habe ich vielen Menschen, die in der DDR in Haft gesessen haben, einen Schub gegeben." Für Jahn ist sein Amt auch und nicht zuletzt eine "Opferschutzbehörde". Eine Formulierung, die den Auftrag der Behörde doch etwas dehnt.

Macht so eine Definition Versöhnung überhaupt möglich? Und kann Versöhnung überhaupt gedeihen, wenn wieder und wieder in alten Wunden gebohrt wird?

Wie kommt es, dass ein Freund einen Freund verrät?

"Versöhnung kann es nicht auf die billige Tour geben", sagt Roland Jahn dazu. Aufarbeitung, die Notwendigkeit zum Hinsehen, beschreibt er mit sehr einfachen Worten: "Vergeben kann ich nur, wenn ich weiß, was ich vergeben soll."

Den Schülern in Flensburg erklärt er das so: "Es geht nicht darum, mit dem Finger auf Leute zu zeigen und zu schreien: Du Stasischwein. Wir müssen fragen, wie es dazu kam. Es ist nicht leicht herauszubekommen, warum der eine ein Staatsfeind geworden ist und der andere ein Spitzel. Wie kann es dazu kommen, dass ein Freund einen Freund verrät?"

Rache sagt, Jahn, sei nie sein Motiv gewesen. "Aber für mich schließt sich in meinem Leben ein Kreis." Als er in Haft saß, nahm er in einer dunklen Stunde all seinen Mut zusammen und sagte zu seinem Vernehmer: "Irgendwann komme ich hier raus. Und dann erzähle ich Ihren Kindern, was Sie hier getrieben haben." Wenn er daran denkt, dann findet er es einfach schön, so wie an diesem Morgen vor 200 Schülern zu stehen und seine Arbeit zu machen.