Dritter Sieg in Folge: beim 2:1 des VfB Stuttgart gegen den Hamburger SV erinnern Spiel und Stimmung an das gute Ende der vergangenen Saison. Doch Vorsicht bleibt geboten.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Er fand einfach keinen Halt mehr. Schlichtweg die Beine hat es Jürgen Kramny auf dem seifigen Rasen unter dem Körper weggezogen, als der Trainer zu seinem Jubellauf ansetzte. Und was das Manöver erheblich erschwerte, war dieses unbekannte Flugobjekt, das sich plötzlich von oben näherte. Kramny ahnte zwar schnell, dass es Daniel Didavi war, der da angeflogen kam, doch erst nach der gemeinsamen Bruchlandung konnte sich der Fußballlehrer sicher sein, dass es der Spielmacher des VfB Stuttgart tatsächlich war.

 

Abgesehen von einer Schürfwunde an Kramnys Knie musste der Bundesligist nach dem kleinen Jubelcrash am Spielfeldrand aber keine Personenschäden melden. Was in sofern wichtig ist, weil Didavi ein lädiertes Sprunggelenk plagt und er deshalb auch ausgewechselt werden musste. Ansonsten berichtete Kramny nach dem späten Siegtor durch Artem Kravets noch von einem mittleren Sachschaden: „Die Hose kann ich wohl wegschmeißen.“

Der Pragmatismus des VfB-Trainers

Dreckig war seine schöne Jeans geworden und auch ziemlich nass, als er bei Dauerregen auf dem Hosenboden landete. Doch der VfB-Coach hat die Angelegenheit mit dem ihm eigenen Pragmatismus erledigt. Nach dem Spiel gegen den Hamburger SV zog er eine Trainingshose an. Eine saubere Sache war das – wie der 2:1-Erfolg.

Dabei ist es spannend zu sehen gewesen, wie der VfB einerseits um den Sieg zittern musste und andererseits der Sieg eigentlich um drei Tore zu niedrig ausgefallen ist. In diesem Spannungsfeld bewegten sich die Stuttgarter, weil sie eine ganze Reihe bester Chancen vergaben und sich dem HSV nach dem überraschenden 1:1 durch Artjoms Rudnevs (75.) auf einmal die Möglichkeit eröffnete, das zweite Tor folgen zu lassen.

Vor ein paar Wochen hätte der VfB wohl noch verloren

Doch Ivo Ilicevic scheiterte an dem VfB-Torhüter Przemyslaw Tyton (79.), und die Gastgeber schafften es, einem Spiel, das sie vor einigen Wochen wohl noch verloren hätten, ihren neuen Stempel aufzudrücken – mit Tempo und Teamgeist. „Perfekte Flanke, perfekter Kopfball, perfekter Abschluss“, fasst Kramny zusammen, was sich kurz vor dem Abpfiff auf dem Platz abgespielt hat. Der eingewechselte Alexandru Maxim flankte auf den eingewechselten Artem Kravets – Kopfball und Tor (siehe „Die neue Kraft aus Reihe zwei“).

So bewiesen die Stuttgarter erst Spielstärke und dann Nervenstärke. Und so spricht neben dem optischen Eindruck nun auch eine Erfolgsserie für den VfB: drei Spiele haben sie jetzt hintereinander gewonnen und schon davor in der Liga zweimal nicht verloren. „Wir waren bereits elf Punkte hinter dem HSV“, sagt der Manager Robin Dutt, „jetzt ist es nur noch ein Zähler.“ Wobei der Blick auf die Tabelle ebenso zeigt, dass sich die Stuttgarter immer noch auf dem 15. Rang befinden – mit zwei Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, aber auch nur acht Zähler hinter den Sechsten, einem Europapokalplatz.

Didavi verleiht der VfB-Elf wieder klare Konturen

„Wir dürfen jetzt sicher nicht anfangen zu träumen, aber wir haben natürlich den Ehrgeiz, nach oben zu kommen“, sagt Didavi, der mit einem Kopfball maßgeblich am 1:0 beteiligt war – gewertet wurde der Treffer jedoch als Eigentor von Aaron Hunt (66.). Keinen Zweifel gibt es jedoch daran, dass der Mittelfeldspieler zu den Gesichtern gehört, die der VfB-Elf wieder klare Konturen verleihen. So auffällig spielt Didavi gerade, dass ihm die Frage nach der Nationalmannschaft ebenso häufig gestellt wird wie die nach seiner Zukunft – beides ist jedoch offen.

Klar ist dagegen, dass der VfB nach Wochen und Monaten des Wildwest-Fußballs nun einen Stilmix gefunden hat, der dem Team entspricht. Wie einst im Mai spielen die Stuttgarter, als sie sich im Endspurt der Vorsaison mit kompakter Defensive und dynamischer Offensive den Klassenverbleib sicherten. Wie einst im Mai fühlen sich auch die Fans, die ihre Mannschaft bedingungslos unterstützen, wenn sie es braucht – und die ihr enthusiastisch zujubeln, wenn sie so entschlossen und energisch auftritt wie gegen den HSV.

Kramny neigt nicht zum Überschwang

„Dieses Team lebt jetzt“, sagt Kramny, der den Stimmungswandel beim VfB mit seiner bodenständigen Art verantwortet und der gleichzeitig keine Neigung offenbart, dem Aufschwung zu trauen. Denn die Ambitionen der Stuttgarter sollen erst auf noch stabilere Füße gestellt werden.