Bis zum 4. März verwandelt sich die Leonhardskirche wieder in die Stuttgarer Vesperkirche. Täglich erhalten Arme und Bedürfige eine warme Mahlzeit. Ein Höhepunkt ist das Kulturprogramm.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Sie hätten kaum Geld, aber gerne etwas zu Essen, sagten die beiden jungen Männer. Natürlich durften sie bleiben. Denn die Leonhardskirche wird bis zum 4. März wieder eine Heimat für Bedürftige und Obdachlose. Täglich erhalten sie dort für 1,20 Euro ein warmes Mittagessen. Getränke und ein Vesperbrotbeutel sind sogar umsonst. Geöffnet ist jeden Tag von 9 bis 16.15 Uhr.

 

Mit einem großen Gottesdienst – fast bis auf den letzten Platz war die Leonhardskirche voll – ist am Sonntag die 23. Stuttgarter Vesperkirche gestartet. „Es ist genug für alle da“ sei wie in jedem Jahr das Motto, sagte Dekan Klaus Käpplinger von der Evangelischen Kirche. Das jeder dort satt werden soll, wird traditionell beim Eröffnungsgottesdienst mit einer Brotsegnung durch die Diakoninnen und Diakone symbolisiert: Jeder Gast erhält ein Stück von einem Laib.

Kulturprogramm jeden Sonntag um 16 Uhr

Unter dem Titel „...da ist Freiheit“ hielt Pfarrer Christoph Doll den Gottesdienst – mit Unterstützung der Hymnus Chorknaben. Es ist sein erster im Rahmen der Vesperkirche, erst in der vergangenen Woche hatte er seine Investitur. Er ist nun der neue Pfarrer in der Leonhardskirche. „Schön ist, dass ich gleich mit eröffnen konnte“, sagte Doll. Die Leonhardskirche habe ja einen stark diakonischen Akzent, weshalb es auch naheliege, dass man so eng mit der Vesperkirche kooperiere. Er werde in den nächsten zwei Monaten regelmäßig an den Gottesdiensten und an dem Kulturprogramm teilnehmen.

Die Vesperkirche bietet neben Essen und Aufenthalt in der Winterzeit für Arme und Obdachlose auch jeden Sonntag ab 16 Uhr ein Kulturprogramm. Ein Höhepunkt ist dabei immer der Auftritt von „rahmenlos und frei“, dem Chor und der Band der Vesperkirche, sie haben ihr siebtes Heimspiel.

Den Auftakt der Reihe „Kultur in der Vesperkirche“ machten in diesem Jahr die Sängerin Cornelia Lanz und der syrisch-afghanische Chor Zuflucht mit deutsch-arabischen Liedern. „Für mich passt der Flüchtlingschor zur Eröffnung sehr gut“, sagte Käpplinger. „Damit setzen wir auch das Signal, dass jeder bei uns willkommen ist, auch Flüchtlinge.“

Das Mittagessen kostet 1,20 Euro

Für Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin in Stuttgart-Mitte, ist die Vesperkirche auch ein wichtiger „Resonanzraum“, wie sie es nennt. Konkret heißt das: Dort erfährt die Bezirksvorsteherin direkt, wie es den ärmsten Menschen in der Stadt geht. Den Menschen, mit denen sonst kaum jemand spricht und die sich auch selbst kaum Gehör verschaffen. „Hier kann man sich auch ungezwungen begegnen und austauschen. Niemand ist in der Vesperkirche der Bittsteller.“

Gerade deshalb kostet das tägliche Mittagessen dort auch 1,20 Euro. „Das ist ein symbolischer Betrag, aber er lässt den Menschen ihre Würde“, sagte Diakon Kurt Klöpfer, der in diesem Jahr die Leitung der Vesperkirche von Pfarrerin Karin Ott übernommen hat. Unterstützt wird er von seinen Kollegen Sabine Eickhoff und Hermann Kollmar. „Wir haben uns selbst zur Vorgabe gemacht, das jeden Tag immer einer von uns vor Ort in der Kirche ist“, sagte Klöpfer.

Die Stuttgarter Vesperkirche fand im Jahr 1995 zum ersten Mal statt. Mittlerweile hat sich der Brauch, sich in den ersten Wochen des neuen Jahres besonders um Bedürftige zu kümmern, verbreitet: In Baden-Württemberg und Bayern gibt es fast 30 Vesperkirchen. In der Leonhardskirche geben die ehrenamtlichen Mitarbeiter täglich fast 600 Essen aus. Das wohltätige Projekt finanziert sich nur über Spenden, etwa 260 000 Euro werden voraussichtlich in 2017 benötigt.

86-Jährige ist schon seit 1995 mit dabei

Die notwendigen Geldspenden sind das eine, das andere ist die tatkräftige Hilfe von mehr als 800 ehrenamtlich engagierten Stuttgartern, die mitwirken. Ohne sie würde die Hilfsaktion nicht funktionieren. Rund 40 sind täglich vor Ort, geben das Essen aus, schenken Kaffee und Tee ein oder sind einfach als Ansprechpartner für die Besucher da. Eva-Brigitte Widmann kann sich sogar noch an die allererste Vesperkirche in Stuttgart erinnern. Die 86-Jährige ist von Beginn an dabei, kein Jahr hat sie gefehlt. „Ich bin froh, dass ich noch so fit bin, dass ich dreimal die Woche hier helfen kann“, sagt sie.