Die Redaktion verbringt in einer Serie 24 Stunden an unterschiedlichen Orten in den Neckarbezirken: Der Arbeitstag beginnt für die Weinhersteller um 6 Uhr. Mit dem Sonnenaufgang genießen sie einen imposanten Ausblick über Stuttgart.

Bad Cannstatt - Kurz vor sechs Uhr in der Früh herrscht noch Stille an den Weingärten gleich am Fuße des Römerkastells in Bad Cannstatt. Es dämmert, aber die Sonne verbirgt sich noch hinter den dichten Wolken, und die fast ausgereiften Trauben sind umhüllt von einem morgendlichen Dunst. Als die Zeiger auf Punkt sechs Uhr zeigen, beginnen in der Halle der Bad Cannstatter Weingärtner die Maschinen zu brummen und aus dem großen Hallentor dringt ein Schwall Wasserdampf an die frische Morgenluft.

 

In der Maschinenhalle steht Thomas Zerweck, Kellermeister bei Weinfactum in Bad Cannstatt, an einem Ventil und überprüft immer wieder die dicken Schläuche, die sich am Boden entlangschlängeln. „Wenn süßlicher Wein produziert wird, entstehen durch den Stoffwechsel des Zuckers immer Bakterien. Bevor es also losgeht, müssen die Leitungen und Schläuche mit Wasserdampf sterilisiert werden“, sagt er und wieder dampft ein Schwall aus einem der Ventile empor. Um sieben Uhr soll die Weinabfüllung beginnen. Zerweck ist der erste, der an diesem Morgen die Arbeit beginnt und dafür sorgt, dass alles gereinigt und startbereit ist, wenn die Mitarbeiter ankommen. „Heute füllen wir den Trollinger Weißherbst in die Flaschen“, sagt der Kellermeister. Ungefähr 60 Mal im Jahr wird abgefüllt. An diesem Morgen ist es das vorletzte Mal, bevor die Traubenlese beginnt.

Weine mit „Ecken und Kanten“

Eine Stunde später steht schließlich Thorsten Klimek an der Maschine und sorgt dafür, dass der Rosé in die Ein-Liter-Flaschen fließt. Der Norddeutsche arbeitet seit 2012 beim Cannstatter Weinhersteller und weiß genau, was ihm an der Arbeit Spaß macht: „Der Job bietet viel Abwechslung. Hinter jedem Wein steckt eine andere Philosophie. Man kann herumexperimentieren und ganz neue Geschmäcker schaffen.“ Am liebsten habe er die Weine mit „Ecken und Kanten“ – die mit dem ganz eigenen Geschmack jenseits des Mainstreams. Der Trollinger, den er an diesem Tag in die Flaschen füllt, sei vom vergangenen Jahr. „Zwölf Monate gereift. Also kein edler Premiumwein“, sagt Klimek. Dafür brauche es schon mindestens 24 Monate. Zerweck fügt hinzu: „Der Trollinger ist ein günstiger Wein, den es oft in der Gastronomie gibt. Wir stellen ihn her, weil er eine lange Tradition hat.“

Im September wird geherbstet

Die Weintrauben für den Trollinger und all die anderen Produkte von Weinfactum Bad Cannstatt kommen aus der direkten Umgebung: „Die Felder führen am Neckar entlang bis nach Mühlhausen“, sagt Zerweck. Insgesamt 60 Hektar mit 15 bis 20 Rebsorten, die unter hundert Genossenschaftlern aufgeteilt werden. 95 Prozent der Felder würden von Hand gelesen. Es gebe zwar Maschinen, sogenannte Traubenvollernter, die seien aber kaum einsetzbar: „Die Stuttgarter Weinhügel sind steil und geprägt von Spitzzeilen. Das sind Reihen, die nicht parallel laufen und deshalb andere Reihen kreuzen“, erklärt Zerweck. Mit der Maschine zu arbeiten, sei deshalb unpraktisch.

Noch hängen zwischen den Blättern der Vitis vinifera die grünen und roten Trauben an ihren Stielen. Aber im September beginnt das diesjährige Herbsten. Dann fahren die Winzer vor und liefern in riesigen Traubenbütten, die bis zu tausend Liter aufnehmen, Zerweck und seinem Team die Reben. Der Weinmacher hofft in diesem Jahr auf eine gute Lese: „Dieses Jahr war es sehr heiß. Die Reben sind sehr früh gereift. Wenn bis September nur wenig Regen fällt, bleiben sie gesund.“

Ein Beruf, der von der Natur abhängt

Der 46-Jährige aus Fellbach weiß, dass sein Beruf von den Naturgegebenheiten abhängt: „Das Wetter ist sehr wichtig, denn es beeinflusst die Reben. Das macht es jedes Jahr aufs Neue so spannend“, sagt er. Es gebe aber leider immer weniger junge Menschen, die den Beruf ausüben wollen. Weingärtner zu sein, sei kein leichter Job. „Man muss viel arbeiten, mehr als in anderen Berufen“, vielleicht müsse man dafür geboren sein. Oder die notwendigen Gene geerbt haben: „Mein Vater besaß schon sechs Hektar an Weinflächen“, sagt Zerweck, der die Wissenschaft des Weins, Önologie genannt, sogar studiert hat und seit 12 Jahren bei Weinfactum arbeitet.

Schließlich dringt an diesem Morgen gegen 9 Uhr die Sonne durch die dichten Wolken über Stuttgart. „Das ist das wichtigste für einen guten Wein“, sagt Zerweck, „ganz viel Sonne und Wärme.“ Von seinem Arbeitsplatz aus sieht Thorsten Klimek durch das große Lagertor direkt hinaus zu den Weinreben, die von den Sonnenstrahlen nun in einen goldenen Schleier gehüllt sind. Während er die Maschine am Laufen hält und der Rosé in die Weinflaschen sprudelt, sagt er: „Klar, der Job ist manchmal schwer, wie jeder andere eben auch. Aber im Gegensatz zu vielen anderen auch unglaublich romantisch.“