24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 10 und 11 Uhr unter der Woche sind viele Rentner und Mütter mit Kinderwagen in der Wilhelmgalerie – zum Einkaufen, zum Kaffeetrinken oder nur zum Schaufenster schauen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ludwigsburg - Der Mann Mitte 70 ist Stammkunde. Er zieht einen Gutschein aus der Hosentasche, legt ihn auf den Tresen des kleinen Zeitschriften-und-Tabakwaren-Geschäfts im Erdgeschoss der Wilhelmgalerie in Ludwigsburg und schnappt sich eine Stuttgarter Zeitung. Jeden Tag komme er zu Hasan Özilhan, sagt der Kunde. Normalerweise nachmittags, diesmal ausnahmsweise gegen 10 Uhr. Er wohnt am Stadtrand in Richtung Pflugfelden, immer läuft er in die Stadt. Mal geht er einkaufen, mal nur Kaffee trinken. Immer indes holt sich der Mann seine Tageszeitung. Ein Abonnement käme für ihn nicht infrage. „Ich will die Zeitung nicht morgens im Briefkasten haben“, sondern persönlich kaufen – was Hasan Özilhan freut.

 

Der 54-jährige Mann betreibt mit seiner Frau und den erwachsenen Kindern das kleine Geschäft, schon seit rund zehn Jahren, seit das Einkaufszentrum Wilhelmgalerie eröffnet worden ist. Sein Laden ist täglich von 8 bis 20 Uhr offen, außer sonntags. Er habe viele Stammkunden wie den Rentner, der jeden Tag wegen der Zeitung vorbeikomme, und er sei zufrieden mit dem Umsatz, sagt Özilhan.

Rentner und Frauen mit Kinderwagen

Ein paar Schritte weiter verstaut ein Mann ein paar Lebensmittel, die er in der Rewe-Filiale gekauft hat, in seinem kleinen Rucksack. Auch dieser Kunde ist Rentner. Er wohnt in der Nähe des Kreiskrankenhauses und ist in die Stadtmitte gelaufen. „Wenn es wärmer wird, komme ich wieder mit dem Fahrrad.“ Großartig shoppen geht der Mann in der Wilhelmgalerie nicht. Kleidungsstücke zum Beispiel kaufe er lieber bei der Trigema-Dependance in der Nachbarstadt Kornwestheim. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Burladingen auf der Alb produziere in Deutschland, das ist dem Mann wichtig. Die Bekleidungsgeschäfte in der Wilhelmgalerie seien ihm nicht so sympathisch, sagt der Mann, auch wegen der vielen Werbesologans auf Englisch. Dass im Namen der Wilhelmgalerie ein „s“ fehle, das stört in auch. Eigentlich, sagt der Kunde, „müsste es doch Wilhelmsgalerie heißen“. Das fehlende „s“ ist in Ludwigsburg schon oft diskutiert worden.

Es ist einiges los in der Galerie an diesem gewöhnlichen Vormittag unter der Woche. Rentner und Frauen mit Kinderwagen sind augenscheinlich in der Mehrzahl. Eine junge Mutter mit Kleinkind erzählt im Vorbeigehen, dass sie in Kornwestheim wohnt, ab und zu zum Einkaufen herkommt, momentan in Elternzeit ist, aber trotzdem keine Zeit hat für ein längeres Gespräch.

Ein Fleischkäsweckle und dazu ein Guten-Morgen-Bierchen

Ganz anders Brigitte Häusler, Lehrerin, 60 Jahre alt. Sie trinkt an einem Stehtisch des Cafés im Erdgeschoss einen Kaffee, erzählt, dass sie krankgeschrieben, eben beim Arzt gewesen und ganz erledigt sei. Normalerweise kommt sie kaum in die Wilhelmgalerie. „Mir ist es hier zu laut“, die vielen Hintergrundgeräusche störten sie. Was vermutlich an einem Ferienjob in einem Einkaufszentrum liege, den sie einst als Studentin gemacht habe. Brigitte Häusler lebt seit 1976 in Ludwigsburg, damals ist sie aus dem Hohenlohischen hergezogen, des Studiums an der Pädagogischen Hochschule wegen. Die Stadt habe sich seither stark verändert. Zum Guten oder zum Schlechten? Sowohl als auch – mit diesen Worten lässt sich ihre Antwort knapp zusammenfassen. Gut gefällt ihr, dass die einstigen Kasernen verschwunden sind, weniger gut, dass es in der Stadt immer weniger inhabergeführte Geschäfte gibt, aber immer mehr Filialen der großen Ketten.

Im Schnellimbiss brutzelt eine Mitarbeiterin Bratwürste und Schnitzel. Auf Nachfrage erzählt sie, dass das Essen bereits am Vormittag weg ging wie nichts. Viele Bauarbeiter seien unter den Kunden der ersten Stunden. An einem der kleinen Tische sitzt ein älterer Herr, er sieht nicht aus wie ein Arbeiter, eher wie ein Rentner. Der Mann beißt genüsslich in sein Fleischkäsweckle – und trinkt dazu ein Guten-Morgen-Bierchen.

Im ersten Stock verlässt unterdessen eine adrett gekleidete Frau Anfang 40 das Nagelstudio. Sie ist in Eile, erzählt aber schnell, dass sie etwa alle zwei Wochen kommt, um sich die Nägel aufpolieren zu lassen. „Auf jeden Fall immer am Ersten des Monates.“ Sie lächelt ein zuckersüßes Lächeln und ist wieder weg.

Rund 70 Prozent der Kunden im Café sind Stammgäste

Die Stühle des Eiscafés im Obergeschoss sind kurz vor 11 Uhr fast alle besetzt. An einem der Tische sitzen zwei Journalisten aus der Türkei: Ali Batmaz und Ahmed Kekec. Sie trinken Tee, reden über ihre Arbeit. Batmaz wohnt in Kornwestheim und erzählt, dass er gelegentlich in die Wilhelmgalerie kommt, wenn seine Gattin einkaufen will. Kekec indes ist erstmals da, er fliege am nächsten Tag für einen längeren Zeitraum in die Türkei, wo er im Norden für eine Tageszeitung arbeite. Ilknur Aras kommt für einen kurzen Schwatz zum Tisch der beiden Männer. Sie betreibt das Café seit fast genau sieben Jahren und sagt: „Bis 12 Uhr sind hauptsächlich Rentner zu Gast“, mindestens 70 Prozent der Kunden seien Stammgäste. Mit dem Geschäft sei sie sehr zufrieden.

Die Sitzbänke in dem Einkaufszentrum sind fast immer belegt. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Manche Besucher schlendern bloß vorbei an den Schaufenstern. Andere wissen ganz genau, was wie wollen – zum Beispiel die Mitarbeiterin eines Sportgeschäfts, die im Stechschritt zum Café schräg gegenüber spurtet und sich ein Heißgetränk holt.

Vor dem Eingang, auf dem Gehweg der Wilhelmstraße, verkauft gegen 11 Uhr eine Frau die Straßenzeitung „Trottwar“. An der Wand oberhalb des Zugangs steht in großen Buchstaben: Wilhelmgalerie, natürlich ohne zusätzliches „s“. Der Rentner, der eben noch bei Rewe eingekauft hat, schultert seinen Rucksack, schaut nicht zurück und spaziert nach Hause.