Das kleinste Theater im Land genießt große Anerkennung. Im Jubiläumsjahr entscheidet der Gemeinderat, ob die Bühne eine neue Spielstätte bekommt – für 24 Millionenn Euro.

Aalkn - Aalen - Der Spruch ist unvergessen. „Mir brauched Kartoffla, koi Kultur!“ soll ein Aalener Stadtrat in der Debatte über die Gründung eines eigenen Stadttheaters einst ausgerufen haben. Am Ende hat es für beides gereicht. Seit 25 Jahren leistet sich Aalen ein eigenes Theater und feiert das am kommenden Dienstag mit einem Festakt. Damit ist die gut 67 000 Einwohner zählende Stadt eine von neun in Baden-Württemberg, die eine eigene Spielstätte unterhalten. Lange war das Aalener Haus das kleinste Theater in Deutschland. Landesweit gilt das immer noch. Bundesweit ist inzwischen Naumburg kleiner.

 

Groß oder klein, „Aalen ist zu beglückwünschen“ für sein Theater, findet der Oberbürgermeister Thilo Rentschler (SPD). An Selbstbewusstsein mangelt es auch den Intendanten Tonio Kleinknecht, Tina Brüggemann und Winfried Tobias nicht. Als Stadttheater „sind wir ein Spielplatz für alle“, sagt Tina Brüggemann. „Wir sparen uns nicht die Klassiker und die Stücke für Vierjährige.“ Aber man leiste es sich eben auch, zu provozieren und auszuprobieren: Uraufführungen zu inszenieren oder Auftragsarbeiten an Autoren zu vergeben. „Das muss alles vereinbar sein.“

In Aalen können Künstler Neues entdecken

Das Trio ist vor drei Jahren nach Aalen gekommen. Sie folgten Katharina Kreuzhage nach, die nach Paderborn wechselte. Brüggemann und Kleinknecht hatten zuvor in Rottweil das Zimmertheater mit aufgebaut. Der Umzug auf die Ostalb war verlockend. Denn der Stadt mit ihrer Industriegeschichte und der Hochschule sei Erfindergeist nicht fremd, sagt Tonio Kleinknecht. „Es gibt eine Tradition der Innovation. Es ist gewünscht, dass wir etwas Neues entdecken.“ Außerdem habe das Theater zwar „eine bescheidene, aber es hat eine Struktur“. Der Akzent der Arbeit liege also auf der Kunst – nicht auf deren Verwaltung.

Für Winfried Tobias, der das Kinder- und Jugendtheater leitet, ist sein Engagement in Aalen keine Premiere. Er hatte schon unter der Intendantin Simone Sterr drei Jahre lang hier gearbeitet und die Struktur mitgeschaffen. Der Bereich des Kinder- und Jugendtheaters werde hier – anders als an anderen Häusern – nicht als Anhängsel betrachtet, sondern als gleichwertige Sparte. Und das Theater insgesamt „ist ein integraler Bestandteil der Stadt“.

Streusalz oder Stadttheater: das war die Frage

Das war nicht immer so. Der damalige Oberbürgermeister Ulrich Pfeifle (SPD) hat 1991 darauf gedrungen, dass aus einer freien Theatergruppe ein festes kommunales Theater wird. Als erster Intendant wirbelte Udo Schön durch die Stadt, „ein Theaterverrückter“, wie Winfried Tobias sagt. Heute umfasst das Jahresbudget etwa 1,5 Millionen Euro; eine Million davon steuert die Stadt bei. Mittlerweile wird der Theateretat für fünf Jahre festgelegt und verabschiedet. Das erspart den Theaterleuten alljährliche Haushaltsdebatten und verschafft ihnen Planungssicherheit.

So unangefochten die Fünfjahresbudgets heute sind: Durchgesetzt wurden sie in einer Kampfabstimmung. Und noch vor etwa 15 Jahren, erinnert sich Tobias, diskutierte man im Gemeinderat, ob man nicht mehr Streusalz brauche anstatt Theater. Die Intendanten wissen diese Sicherheit durchaus zu schätzen. „Man muss ja nur nach Karlsruhe schauen“, sagt Tonio Kleinknecht. Dort wird in den kommenden fünf Jahren kräftig gespart, die Budgets der Theater sind ordentlich gekappt worden.

Aalen muss zwar mit dem kleinsten Budget auskommen. Doch Aalen sei ein „theatralischer David, der mit einer kleinen Steinschleuder erfolgreicher ist als der bestens ausgerüstete Goliath“, so formuliert es Friedrich Schirmer, der ehemalige Stuttgarter Intendant. Denn immer wieder hat es das Theater in die überregionalen Feuilletons geschafft: Mit dem Autoren Carsten Brandau beispielsweise, der in diesem Jahr den Mülheimer Kinderstückepreis erhalten hat – für das Stück „Himmel und Hölle“, das er für Aalen geschrieben hat. Oder mit der Aktion „Take it or leave it“ von Katharina Kreuzhagen während der Eurokrise: Sie führte Shakespeares „Othello“ auf. Aber nach dem Vorspiel ging das Licht an, und es wurden Klingelbeutel herumgereicht. Wer bereit war, den Pauschaleintritt von zehn Euro zu bezahlen, durfte bleiben. Der Rest musste gehen – hätte müssen: es sind alle geblieben. Tonio Kleinknecht schließlich hat diese Idee vor drei Jahren noch weiter gesponnen und einen Tauschhandel angeboten – und dabei erfahren, „dass die meisten Leute lieber bezahlen“.

In der vorigen Spielzeit kamen erstmals mehr als 30 000 Zuschauer. Doch die Intendanten wollen sich nicht der Diktatur der Zahlen unterwerfen, auch nicht in der Jubiläumssaison. Nicht in einer Zeit, in der die Lage in Europa angespannt ist. „Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft“, heißt deshalb das Motto der Spielzeit, die Europa gewidmet ist. Dabei „wollen wir nicht gefällig sein“, sagt Tina Brüggemann. Stattdessen wird es „Gefährliche Begegnungen“ geben.

In Zukunft gibt es vielleicht ein neues Theater

Die nahe Zukunft wird zeigen, ob sich die Stadt ein neues Theater leisten will. Im November entscheidet der Gemeinderat, ob ein – baulich charmantes – ehemaliges Bahnbetriebswerk aus dem 19. Jahrhundert für 24 Millionen Euro zum Kulturbahnhof umgebaut wird. Dort soll neben dem Theater auch das Programmkino am Kocher eine neue Heimat finden. Das Theater wäre dann nicht mehr nur ein Teil der Stadt. Es rückte mitten ins Herz.

Das Programm zum Jubiläumsjahr

Fest

Der Festakt zum 25-Jährigen am 27. September findet um 19 Uhr im Theater in der Ulmer Straße 130 in Aalen statt. Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, spricht dabei über „Was ist die Zukunft des Theaters?“.

Motto

„Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft“ heißt das Motto des Jubiläumsprogramms. Am 8. Oktober feiert „Samstag in Europa – gefährliche Begegnungen“ (Regie: Tina Brüggemann) Premiere. Diese Treffen spielen in Cafés in Paris, Budapest, Hamburg und Istanbul und sind umrahmt von einem Aalener Bürgerchor. Alle leben in Europa und können unterschiedlicher nicht sein. Für das Kulturprojekt „Boulevard Ulmer Straße“ haben die Theaterleute ihre Nachbarn besucht: die Moschee, die katholische Kirche, den Schrotthändler, das Flüchtlingsheim. Sie haben Unterschiede gesammelt – und hoffen, dass am Ende eine Verbindung entsteht. Das Projekt beginnt am 1. Oktober und geht bis Ende Juni 2017. Weitere Infos gibt es unter www.theateraalen.de.