In Springfield, der Heimat der Zeichentrickfamilie Simpson, ist die Welt so kaputt wie bei uns. Das macht nicht bedrückt, sondern gallig heiter. Seit einem Vierteljahrhundert bietet die Serie Trost und Stütze beim Aushalten der Realität.

Stuttgart - Keine Frage, die Welt hat auch schon anders ausgesehen. Nach dem Urknall mussten die Teilchen unserer vertrauten Wirklichkeit erst in der richtigen Reihenfolge zueinander finden. Aber manches scheint uns doch untrennbar mit dem Aufstieg der menschlichen Zivilisation verbunden: das Feuer, das Rad, alle Arten Mordinstrumente und die Simpsons. Man muss sich darum zwicken, wenn man eine nüchterne Zahl liest: es ist gerade mal 25 Jahre her, dass die erste knapp halbstündige Folge der animierten TV-Sitcom „The Simpsons“ in den USA über die Bildschirme ging, am 17. Dezember des Jahres 1989.

 

Bei fast jeder anderen Show wäre jetzt mühseliger Respekt angesagt. Wer will schon am Jubiläumstag damit herausplatzen, dass er eine Serie bereits vor Jahren satt hatte. Die Simpsons aber wirken zugleich viel älter und blutjung: ein hemmungslos pessimistisches Menschenbild verliert eben nie an Aktualität.

Plötzlich ging’s ans Eingemachte

Keine schrecklich nette Familie

Unsere Gewöhnung an die knallgelbe Problemsippschaft der Simpsons verdeckt fast völlig, wie gewagt die einige Jahre vor dem Seriendebüt erfolgte Erfindung durch den 1954 geborenen Cartoonisten Matt Groening war. Nette, unter keiner Belastung zerbrechende TV-Familien waren der Zement der Waschmittelwerbung, der TV-Managerkarrieren und der Zuschauerhoffnung, das Glück möge auch im realen Leben um die nächste Ecke liegen.

Die Sitcom-Familien waren derart beliebt, dass milder Spott nur zu ihrem unablässigen Siegeszug beitrug. In den Realserien „The Munsters“ und „The Addams Family“ rekrutierten sich die Familien aus dem Personal des Horrorkinos, in der Animationsserie „The Flintstones – Familie Feuerstein“ wurde ein nicht völlig perfektes Vorstadt- und Konsumglück-Amerika mit Steinzeitmenschen nachgestellt. Bei allem Witz gingen diese Serien aber nie ans Eingemachte.

Als jedoch der Produzent James L. Brooks Groening anbot, eine kleine Trickserie für die „Mary Tyler Moore Show“ zu entwerfen, verschoben sich am Himmel der Entertainment-Industrie die Gestirne. Groening hatte nämlich nichts parat. Die Umpflanzung seiner Cartoon-Reihe aus Zeitungsspalten ins Fernsehen, war ihm mit Verzögerung aufgegangen, würde aus rechtlichen Gründen nicht möglich sein. Vielleicht feilt er ein wenig an der eigenen Legende, aber Groening erzählt schon lange, die Simpsons seien ihm erst im Vorzimmer von Brooks eingefallen, als er die Chance schon schwinden sah, doch noch TV-Geld zu verdienen.

Vom Leder ziehen gegen Politik und alles andere

Falls das nicht wahr sein sollte, trifft es doch den Geist der Simpsons, das Gefühl von „Eh schon alles egal, wir können endlich ehrlich sein.“ Diese Trickfamilie aus Vater Homer, Mutter Marge, dem Sohn Bart, der Tochter Lisa und der nie dem Schnullernuckelalter entwachsenden Maggie vereint Charaktermängel, Intellektdefizite, Sozialschäden, den Mangel an Selbstkritik, viel Frühreife und zynische Cleverness zu einer Mischung, die vermutlich mehr Schaden als Gutes in der Welt anrichtet, eines aber nie hervorbringt: erhebende Moralpredigten. Für die frech-witzige Einlage in einer größeren Show mochte das hingehen. Aber als eigene Show? Noch dazu als Trickfilmserie, was auch in den USA damals noch den Anspruch weckte, alles möge kindgerecht sein?

Die realen Voraussetzungen stimmten

Dass „The Simpsons“ von der ersten Staffel an eine bald sogar globale Fanbasis fanden, zeugt vom Abgefedertsein des Status Quo. Groening sowie Brooks und Sam Simon, die mithalfen, die Koordinaten, Konfliktfelder und Bewohner des Örtchens Springfield zu entwerfen, konnten von Anfang an vom Leder ziehen gegen eine verlogene Politik, eine verblödete Konsumentenschar, ein kaltherzige Raffgier belohnendes Wirtschaftssystem. Wer das sah und diese Weltsicht teilte, wurde kaum ein brandsatzbastelnder Revoluzzer, sondern hielt es dank des bitteren Lachens ein wenig besser aus zwischen Irrwitz und Irren.

Kennen wir die nicht irgendwoher?

Dass jede Folge der „Simpsons“ längst komplexe Zitierspiele quer durch die Popkultur betreibt, dass Prominente veräppelt werden und es sich zur Ehre anrechnen, ihre Karikaturen einmal selbst synchronisieren zu dürfen, dass der Kinofilm aus dem Jahr 2007 keinesfalls harmloser Kitsch war, dass die lukrativen Merchandising-Verkäufe nicht mildernd auf die Galligkeit der Serie durchschlagen: all das gehört zum so niemals vorhersagbaren Wunder der Simpsons.

Mag auch Groenings 1999 gestartete Serie „Futurama“ inzwischen inspirierter und spannender sein, wo die Simpsons nun mal da sind, kann man sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Dieses Springfield-Panoptikum lässt die Selbstkritischen unter uns manchmal fragen, ob der Fernsehapparat eigentlich eingeschaltet ist oder ob nur die Mattscheibe spiegelt.