In loser Folge stellen wir außergewöhnliche Kurse und ihre Teilnehmer vor. Eine von ihnen ist Molly aus dem Iran, die auch dank eines Alphabetisierungskurs eine neue Heimat gefunden hat.

Stuttgart - Die kleine Sitzecke neben dem Getränkeautomaten im zweiten Stock im VHS-Zentrum Ost ist ein Wohlfühlort für Molly. So wird die zierliche Frau aus dem Iran hier von allen gerufen. Ihren wirklichen Namen will sie nicht nennen – aus Angst vor ihrem früheren Mann, der ebenfalls in Deutschland lebt und nichts über ihr neues Leben erfahren soll. Zweimal die Woche besucht sie bei der VHS einen Alphabetisierungskurs. „Aber ich komme auch sonst oft hier vorbei, das ist meine zweite Heimat“, sagt die 63-Jährige. Gespräche sind ihr wichtig. Hier lernt sie dazu. Hier fühlt sie sich ernst genommen. „Sie hat sehr schnell gelernt und ist außerdem sehr fleißig“, sagt Wolfgang Nagel, der bei der VHS den Bereich Grundbildung koordiniert und für Molly zu einem Mentor geworden ist. Sechs Lernbücher hat sie schon bewältigt und hilft inzwischen auch deutschen Kursteilnehmern mit Grammatikschwächen. „Und ich möchte natürlich auch den Flüchtlingen aus dem Iran helfen, die Sprache zu lernen“, sagt Molly. Sie selbst ist als Flüchtling anerkannt und darf auf einen deutschen Pass hoffen.

 

Sie ist zum evangelischen Glauben konvertiert

Molly ist klein und zierlich. Doch sie ist auch eine starke, eine mutige Frau. „Ich möchte so gut lernen, dass ich auch Behördenbriefe lesen und ein Tagesbuch selbst schreiben kann“, sagt die. Sie wird ihm eine bewegende und berührende Geschichte anvertrauen können, die hinter ihr liegt. Unter der Herrschaft von Ayatollah Khomeini war sie dreieinhalb Jahre im Gefängnis von Ishfahan, weil sie feministische Literatur gelesen hatte. „Ich war schon immer anders als die anderen Frauen im Iran“, sagt sie. Danach hat sie geheiratet, folgte ihrem Mann mit ihrer Tochter nach Stuttgart, hoffte auf ein besseres, selbstbestimmtes Leben. Ihr Partner hatte ihr aber verboten Deutsch zu lernen, sich zu integrieren und schickte sie samt Kind wieder zurück. Irgendwann habe sie nur noch weggewollt, raus aus diesem Land. Seit zwei Jahren sie wieder da.

Mit ihrer Tochter ist sie über Kurdistan, die Türkei, Rumänien und Italien nach Stuttgart gekommen. Von einem Schlepper zum nächsten. Ist auf Eseln geritten und hat auf der Straße geschlafen. Es hat sich gelohnt. „Hier sieht man mich endlich als Mensch“ sagt Molly. Ihre Tochter ist inzwischen mit einem Deutschen verheiratet und hat sie zur Oma gemacht.

Die Vergangenheit hat sie komplett abgestreift, ist zum evangelischen Glauben konvertiert. Im Kontrast zu der strengen Auslegung des Korans spreche die christliche Botschaft von einem liebenden Gott. Durch das Lesen der Bibel hat sie ihre Deutschkenntnisse verbessert. Der Glaube hilft ihr auch dabei, mit einem weiteren Schicksalsschlag fertig zu werden. Vor einem Jahr wurde an ihrem Rückenmark ein Tumor festgestellt. Sie hat bereits mehrere Chemotherapien hinter sich, trägt eine Mütze. Doch sie gibt nicht auf. „Es ist heilbar. Ich hoffe darauf. Und das Beten und die netten Menschen bei der VHS helfen mir durch die schwere Zeit“, sagt Molly. Ihre Eltern leben noch im Iran. Sie hat keinerlei Kontakt mehr. „Die verstehen das nicht“, sagt Molly.