Vor 25 Jahren begann die Treuhand mit der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft. Sie produzierte viele schlechte Beispiele – aber auch einige wenige Erfolge.

Leipzig - „Chef, Sie trauen sich was!“ Oft hörte Walter Botschatzki in den heißen Wochen vor der Währungsunion 1990 diese Worte seiner Mitarbeiter. Denn der Direktor des Volkseigenen Betriebes (VEB) Fahrzeugwerk Waltershausen bei Gotha, in dem der wendige Kleintransporter Multicar entstand, unterschied sich auffallend von den meisten seiner Kollegen im Industrieverband Fahrzeugbau (IFA). Unter diesem Dach versammelte die DDR seinerzeit vornehmlich jene Unternehmen, die Straßenfahrzeuge produzierten – von Trabant und Wartburg bis Barkas, Robur und L60. Und während sich andere Betriebsleiter „treiben ließen und auf Investoren warteten“, wie sich der mittlerweile 70-jährige Botschatzki erinnert, hätten er und sein Partner Manfred Windus „halt ein bisschen vorausgedacht“.

 

Denn spätestens seit dem Moment, da sich mit der Wiedervereinigung der nassforsche Treuhandchef Karsten Detlev Rohwedder recht ungeniert über das Treuhandgesetz vom Juni 1990 hinwegsetzte und damit auch nicht die „großen DDR-Kombinate in private branchenbezogene Aktiengesellschaften“ überführte, wie hier gefordert war, wussten Botschatzki und sein Vize Windus: Fortan ist sich jeder selbst der Nächste.

Und gleichwohl der dieselgetriebene Geräteträger M 25 im ganzen Ostblock gut lief und sich teils sogar in Westeuropa verkaufte, tuckerte in ihm noch ein Motor aus den 1930er-Jahren. Botschatzki fragte sich: Wie machen wir das Multicar weltmarktfähig, um uns damit auch in der Marktwirtschaft zu behaupten? Er dachte an weitere Zusatzfunktionen und ein moderneres Innenleben. Also schrieb man ganz unerschrocken westliche Ausrüster an – und diese reagierten auch, nicht zuletzt wohl aus Interesse am ostdeutschen Markt.

Jeder dritte Ostdeutsche verlor seinen Job

Als dann für all jene Pläne das Geld knapp wurde, gewährte die Treuhand, die am 1. März vor 25 Jahren ihre Arbeit aufnahm, den beiden Machern für laufende Ausgaben einen Kontokorrentkredit über zwölf Millionen D-Mark. „Doch ein Drittel davon zweigten wir für eine neue Farbgebungsanlage ab“, sagt Botschatzki schmunzelnd. Bei der Treuhand wertete man dies „hart an der Grenze der Legalität“, ließ es aber durchgehen. Der Wagemut der beiden früheren SED-Genossen imponierte der Treuhand offenbar ebenso wie Botschatzkis Mitarbeitern, auch wenn denen nun schwere Zeiten bevorstanden. Denn um angesichts zunächst rapide sinkender Absatzzahlen rentabel zu bleiben, erhielten 1200 Leute bei Multicar die Kündigung.

„Selbst der neu gegründete Betriebsrat trug das letztlich mit“, erinnert sich Botschatzki. Dabei hätte dieser ohnehin kein Veto einlegen dürfen. Denn zu den politischen Prämissen der Treuhandbehörde, die mit der Einheit nun Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) unterstand, gehörte auch der Verzicht auf jegliche demokratische Flankierung dieser Transformationen. Weder Betriebsräte und Gewerkschaften noch die betroffenen Kommunen und Länder besaßen irgendein Mitspracherecht. So verlor dann auch binnen drei, vier Jahren jeder dritte Ostdeutsche seinen Job.

Fälle, in denen die Treuhandanstalt wirklich Positives bewirkte, waren dagegen rar gesät. Die Reste des einstigen Kombinates Carl Zeiss Jena, die das Stammhaus in Oberkochen nicht übernehmen mochte, so dass sie von 1991 an unter maßgeblicher Federführung des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth zur heutigen Jenoptik AG umgestrickt wurden, gehören dazu. Immerhin ließen sich Treuhand und Land Thüringen dieses Vorzeigebeispiel 3,6 Milliarden DM kosten.

Firmen mit gutem Ruf wurden verramscht

Nennen ließen sich ebenso der Erdgasgroßimporteur Verbundnetz Gas (VNG) in Leipzig, das Chemnitzer Werkzeugmaschinenbauer Heckert (heute Starrag Group, Schweiz), das Edelstahlwerk im sächsischen Freital (heute BGH Edelstahl Freital), die Großbrauerei im mecklenburgischen Lübz oder das Chemiefaserwerk im brandenburgischen Schwarzheide (heute BASF). Doch selbst manch früherer VEB, dem zunächst die Privatisierung zu glücken schien, scheiterte dann doch Jahre später an teils hektisch getroffenen Entscheidungen, etwa Henkel Genthin in Sachsen-Anhalt und mehrere Ostseewerften.

Dabei klingt es wie ein Treppenwitz, dass gerade die letzte SED-geführte Regierung unter Hans Modrow die Bildung jener Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums anschob. Die DDR-Bürgerrechtler am Runden Tisch hatten stattdessen auf eine Institution gedrängt, die „das Volksvermögen verwalten und in Form von Anteilsscheinen im Sinne von Kapitalinhaber-Urkunden“ für die DDR-Bürger sichern sollte. Und Vermögen gab es offenbar 1990 auch noch in der DDR. Die aus den freien Wahlen im Mai hervorgegangene letzte Regierung bezifferte es auf 620 Milliarden Mark.

Doch erwies sich gerade jene Treuhand dann erschreckend schnell auch als ein Hort der Verderbnis. Nicht wenige Firmen mit gutem Ruf und vollen Auftragsbüchern wurden geschlossen oder verramscht. Als die Treuhand 1994 schließlich dicht machte, waren bei deutschen Gerichten noch immer 380 strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen deren Manager anhängig, meist wegen Untreue und Bestechlichkeit. Die Dunkelziffern kennt niemand.

Um zu überleben, mussten sich Firmen stark verschulden

Zu den aufsehenerregendsten Betrugsfällen gehörte etwa das Debakel um den VEB Chemiefaserkombinat Schwarza bei Rudolstadt, der später als Thüringische Faser AG firmierte. Illiquide Inder bekamen den Zuschlag und transferierten hernach Millionenbeträge illegal nach Asien. Ein Bundestags-Untersuchungsausschuss fand später heraus, dass die Treuhand nie die Bonität geprüft hatte.

Erfolg gab es denn – so die verfestigte Volksmeinung im Osten – im Einzugsbereich der Treuhand nicht dank, sondern trotz der Mammutbehörde. Nämlich vor allem dort, wo sich frühere Mitarbeiter selbst festbissen, um das Überleben ihrer bisherigen Betriebe zu sichern. Dafür gingen sie hohe Risiken ein und verschuldeten sich meist selbst tief. So wie auch Walter Botschatzki und Manfred Windus. Als 1991 dringend Investitionsmittel benötigt wurden, erwarben sie neben der Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Bank, die an ihr Privatisierungskonzept für Multicar glaubte, sowie einem Waggonbauer aus Hannover zusammen 21 Prozent am Unternehmen. Und es habe sehr lange gedauert, so der inzwischen pensionierte Unternehmer, „bis wir wieder schuldenfrei unseren Kindern in die Augen schauen konnten“.

Dabei suchten auch sie zunächst potente Käufer für die Transporter-Schmiede. Doch alle Großen, etwa Mercedes-Benz, winkten ab. „Es hieß, mehr als 400 Wagen pro Jahr lassen sich nicht absetzen“, sagt Botschatzki heute. Denn inzwischen sind es jährlich 1600 Fahrzeuge, die immer stärker auch im Westen Käufer finden. Das Multitalent war denn schon bald nach der Privatisierung in 15 Varianten zu haben, vom Ladekran ist zum Silostreugerät. Und der Kunde bekam stets „seine ganz individuelle Problemlösung – was er nicht brauchte, ließen wir weg“, berichtet Botschatzki. Rund 70 Aufbauten bestellt das Werk, das heute zur holsteinischen Hako-Gruppe gehört, im Thüringer Umland und sichert damit Hunderte weitere Jobs.