Man sieht sie gerade mal wieder vor lauter Kränen nicht. Die Stadt verändert ihr Antlitz. Doch was ist sie überhaupt, diese Stadt? Der Werkbund will ihr auf die Schliche kommen und geht mit der Kamera auf Spurensuche.

Stuttgart - Sie ist ja kein einfaches Ding, so eine Stadt. Da hat’s große Häuser und kleine, alte und neue, solche aus Fachwerk und solche aus Beton, Straßen, Radwege und Bürgersteige und zu allem Überfluss auch noch Menschen aller Couleur. Wie soll man so einen Kessel voller Buntes fassen und beschreiben? Da müssen Experten ran. Und wer anders als der Werkbund hätte die Erfahrung dafür? Hat er dieser Stadt doch ein Weltkulturerbe beschert: die Weißenhofsiedlung. Der Qualität des Handwerks, der Gestaltung, nicht zuletzt des Zusammenlebens hat sich der Werkbund verschrieben, darunter so honorige Mitglieder wie Paul Bonatz, Theodor Heuss oder der Jugendstilkünstler Richard Riemerschmid. Für die Ausstellung des Werkbunds „Die Wohnung“ entstand 1927 die Weißenhofsiedlung. Der Werkbund hat also Expertise in Sachen Stuttgart, doch die hiesigen Statthalter haben das Erkunden und Fotografieren der Stadt den Kennern überlassen: den Stuttgartern selbst.

 

Die Bruddelei über die eigene Stadt

Am Anfang stand der Groll. Über einen Glascontainer vor dem Hospitalhof, der den Blick verstellte, obwohl der Bau längst fertig war. Auch die Ästhetik von Parksäulen, Mülleimern, Streugutboxen lässt zu wünschen übrig. So spottete und grantelte man über den „achtlosen Umgang mit Stadtraum“. Und kam schließlich auf die Idee einer Fotoausstellung. Man traut es sich ja kaum zu sagen: Ein Impuls stammt aus Baden. Aber gut, die Nachbarn können ja auch mal eine gute Idee haben. Die Karlsruher Ausstellung „Die Stadt neu sehen“ brachte beim Stuttgarter Werkbund auch den Wunsch auf, man möge das Sehen neu lernen. Und nicht stets aufs Neue die Schlachten der Vergangenheit schlagen. Es ist bezeichnend, dass frisch zugezogene Fotografen die Stadt ganz anders sehen als die alteingesessenen. So freut sich Maria Rodriguez Cadenaz an den Stäffele und entdeckt Hinterhöfe,die so auch in ihrer Heimat Gran Canaria sein könnten. Sie staunt über jenes wunderschöne Amphitheater, das Stuttgart bildet. Haben wir diesen Blick längst verloren? Treten doch in diesem Theater gerne auf: Der S-21-Hasser, der die Bibiliothek furchtbar findet, furchtbar finden muss, weil sie auf dem falschen Gelände steht; der Intellektuelle und der Künstler, die so gerne nach Berlin gezogen wäre, doch leider fehlten, wie sagt Oliver Kahn das so schön, „die Eier“; der Szenegänger, dem hier immer so langweilig ist; der Subkulturschaffende, der so gerne Underground wäre, aber nach Geld, Hilfe und Bestandsschutz fleht. Sie alle bilden den Jammerchor, vereint in typischer schwäbischer Lust am Selbstzerfleischen. Im Bruddeln, da sind wir richtig gut. Die Stadt macht es einem nicht immer leicht, das stimmt. Aber wir ihr auch nicht.

Von schönen Ecken

Früher war alles besser? Da widerspricht der Architekt Wolfgang Bachmann. Bei der Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Kunstbezirk m Gustav-Siegle-Haus (geöffnet dienstags bis samstags, 15 – 19 Uhr, Eintritt frei) erzählte er, dass er 1979 für einige Jahre nach Stuttgart zog. „Wenn man damals abends aus dem Kino kam, wusste man nicht, wohin man sich bewegen sollte – außer redlich nach Hause.“ Stuttgart bewegt sich, das sieht man auf den Fotos, die die Kuratoren ausgewählt haben. Kräne gibt es zu sehen, Baustellen natürlich und Straßen. Aber auch den Hafen oder einen Baum, der sich an der Kaimauer am Neckar festkrallt, den Ützel Brützel, die Wagenhallen, das Dach des Bürgerhospitals und viele Ecken der Stadt, die man so noch nicht gesehen hat. Überhaupt die Ecken, sie sind auch Thema in der Ausstellung. In sie hängt man keine Bilder. Anja Ohliger und Christian Holl haben den Galerieraum so gestaltet, dass er die Umgebung hereinholt. Wer aufmerksam ist, wird in den Ecken vieles finden, was ihm bekannt vorkommt. Ob es schöne Ecken sind? Da gilt für drinnen wie für draußen: Das muss jeder selbst entscheiden. Die Stadt. das sind schließlich wir alle.