Während die Offensive der deutschen Nationalmannschaft überzeugt, lässt eine konfuse DFB-Abwehr drei Tore für die Ukraine zu.

Kiew - 210 Tage vor Start der Europameisterschaft hat die deutsche Nationalmannschaft im Endspielstadion in Kiew im letzten Moment eine bittere Niederlage gegen die Ukraine abgewendet. Beim 3:3 (1:3) wäre das taktische Experiment von Bundestrainer Joachim Löw mit einer Dreier-Abwehrkette fast fehlgeschlagen. Die Mannschaft wurde ohne mehrere Stammspieler zunächst zum Opfer der Traumkonter des EM-Gastgebers. Drei Gegentore in einer Halbzeit kassierte das DFB-Team zuletzt beim 1:4 in Italien am 1. März 2006, das vor der WM in Deutschland eine schwere Krise ausgelöst hatte.

 

Im neuen Olympiastadion in Kiew schossen Andrej Jarmolenko (28.), Jewhen Konoplianka (36.) und Sergej Nazarenko (45.) die Treffer gegen den Vize-Europameister mit dem bedauernswerten Debütanten Ron-Robert Zieler im Tor, den keine Schuld traf. Toni Kroos erzielte mit einem 18-Meter-Schuss zunächst das 1:2 (39.). In der zweiten Halbzeit aber wendete der Vize-Europameister noch das Blatt. Die eingewechselten Simon Rolfes (65.) und Thomas Müller (77.) trafen zum 3:3.

Gomez im 50. Länderspiel der Kapitän

Für Mario Gomez war es ein zunächst ein besonderer Abend. Der Münchner bestritt nicht nur sein 50. Länderspiel, sondern führte zum ersten Mal die Mannschaft auch als Kapitän auf das Spielfeld. Lukas Podolski und Per Mertesacker, die für diese Funktion in Frage gekommen wären, standen nicht in der Startelf. Löw hatte ein ganz junges Team mit einem Durchschnittsalter knapp über der U21-Grenze aufgeboten. 22,72 Jahre waren seine elf Auserwählten im Durchschnitt alt.

Und Löw gab ihnen eine spezielle Aufgabe mit. Erstmals agierte die deutsche Mannschaft in der Abwehr mit einer Dreierkette, gebildet aus Jerome Boateng, Holger Badstuber und Mats Hummels, die nur bei starkem gegnerischen Druck durch Dennis Aogo als viertem Spieler verstärkt werden sollte. Doch das taktische Experiment von Löw ging ins Auge, wie sich bald herausstellen sollte.

Zieler der 50. Neuling in der Ära Löw

Davor agierten Christian Träsch, Sami Khedira und Toni Kroos, die Offensivabteilung bildeten die Zauberer Mesut Özil und Mario Götze sowie Torjäger Gomez. Im Tor stand Zieler, der 50. Neuling in der Ära Löw. Erst um 21.45 Uhr Ortszeit begann die Partie, bei null Grad Celsius. Kroos und Götze spielten mit Handschuhen. Bei der Kälte erlebten Löws Spieler einen heißen Tanz vor 69.720 Zuschauern, die ihre Mannschaft begeistert anfeuerten.

Das Team mit Andrej Schewtschenko, dem ehemaligen Weltstar des AC Mailand und dort Mitspieler von Oliver Bierhoff, sowie Münchens Anatoli Timoschtschuk und Trainer Oleg Blochin, der Legende des UdSSR-Fußballs, trugen von Beginn an schnelle Angriffe vor. Schon in der dritten Minute stand Schewtschenko vor Zieler, traf aber mit einem Schuss nur das Außennetz. Andrej Jarmolenko zog aus 22 Metern ab und verfehlte nur knapp das Tor (12.).

Die deutsche Mannschaft hatte durch Gomez nach Pass von Kroos ihre erste Torchance, aber der Mittelstürmer schob den Ball freistehend mit der Innenseite zu lasch auf den Kasten, sodass Oleksandr Rybka keine Mühe hatte, mit einer Fußabwehr zu klären (15.). nach Flanke von Aogo zog Träsch volley ab, der Ball strich über den Kasten der Gastgeber (18.).

In der 28. Minute initiierte Schewtschenko mit einem phantastischen 60-Meter-Pass die Führung der Ukraine. Artem Milewskí stürmte auf das deutsche Tor zu, auf der linke Seite fehlte wegen der taktischen Systematik in diesem Moment ein Verteidiger, Götze versuchte den Vorstoß vergeblich zu stoppen und konnte den Pass von Milewski auf Jarmolenko nicht verhindern. Hummels machte in der Mitte eine unglückliche Figur, der Ball trudelte aus kurzer Distanz flach neben den rechten Pfosten zum 1:0.

Ukrainische Konter aus dem Lehrbuch

Und acht Minuten später war es wieder ein Bilderbuchkonter, der zum 0:2 führte. Hummels vertändelte den Ball im gegnerischen Strafraum, blitzschnell starteten die Gelben den Gegenangriff, Konoplianka konnte mühelos über das 70 Meter mit dem Ball am Fuß marschieren, von einer Abwehrreihe konnte beim WM-Dritten keine Rede sein. Konoplianka umspielte Zieler und netzte ein.

Kroos verkürzte auf 1:2, doch nachdem Nazarenko eingewechselt worden war, gelang ihm vier Minuten später mit einem tollen Distanzschuss, den Zwei-Tore-Abstand wieder herzustellen. Kurz zuvor hatte Khedira mit einem Kopfball die Latte getroffen, vom Rücken von Rybka wäre der Ball fast zum Ausgleich hinter der Linie gelandet. Zur Halbzeit brachte Löw für Khedira Simon Rolfes und für Träsch Andre Schürrle. Er hielt aber an der Dreierkette fest.

Und die Ukraine blieb mit Kontern weiter brandgefährlich. In der 50. Minute konnte sich Zieler endlich zum ersten Mal auszeichnen, als er einen Schuss von Schewtschenko um den linken Pfosten lenken konnte. In der 62. Minute wurde die deutsche Hintermannschaft erneut düpiert, als Torschütze Nazarenko frei vor Zieler auftauchte, den Ball jedoch am Tor vorbeischoss.

Müller trifft zum 3:3

Wie aus dem Nichts fiel dann drei Minuten später der Anschlusstreffer. Nach einem Eckball brachte Hummels den Ball vor das Tor, wo der eingewechselte Rolfes goldrichtig stand und aus vier Metern zum 2:3 abstaubte (65.). In der 77. Minute traf der ebenfalls eingewechselte Thomas Müller sogar noch zum 3:3. Beim Ausgleich machte der ukrainische Schlussmann Alexander Ribka keine gute Figur.

Die deutsche Mannschaft spielte nach den Einwechslungen wesentlich besser, blieb im Rückwärtsgang bei einigen Kontern der Gastgeber aber weiter anfällig. Die Schlussphase überstand das Löw-Team aber dank Zieler ohne weiteren Gegentreffer. Zieler rettete in der 90. Minute aus kurzer Distanz mit einem Reflex gegen Marko Devic.

Gegen die Niederlande wird Löw in der Abwehr das Experiment nicht mehr wiederholen, gegen den Vize-Weltmeister sollen am Dienstag (20.45 Uhr) zwei Stürmer spielen mit Gomez und Miroslav Klose, der am Wochenende wie auch Marco Reus und Manuel Neuer in Hamburg zum Team stoßen wird.