Die Karsthöhle Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb ist einer der bedeutendsten archäologischen Fundplätze der Altsteinzeit. Nun präsentieren Forscher der Universität Tübingen ein weiteres Artefakt: Ein weltweit bisher einmaliges Werkezeug zur Herstellung von Seilen und Schnüren.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Tübingen - Das Artefakt, dass die Forscher hoch über den Dächern der Tübinger Altstadt im Schloss Hohentübingen präsentieren, sieht völlig unscheinbar aus. Wie eine abgenutzte Spindel oder ein verwittertes Werkzeug. Der beigefarbene Keil hat vier Löcher, von denen drei vollständig erhalten sind. In sie sind jeweils sechs feine Riefen oder Kerben geschnitzt. Das intakte Ende des Keils diente wahrscheinlich als Griff.

 

Einzigartiges Werkzeug

Tatsächlich handelt es sich um das, was Nicholas Conard im Hörsaal des Instituts für klassische Archäologie sachte aus einer kleinen Holzkiste herausnimmt und behutsam in den Händen hält, um ein steinzeitliches Werkzeug. Oder besser gesagt: um eine archäologische Sensation.

Zum Schutz der Kostbarkeit trägt der Archäologe weiße Baumwollhandschuhe. 42 000 bis 40 000 Jahre alt ist dieses einmalige Stück aus Mammutelfenbein. Das älteste je gefundene Spezialwerkzeug zur Herstellung von Seilen.

Steinzeitliches Hochtechnologie

„Das ist steinzeitlich Hightech“, sagt der Professor für prähistorische Archäologie, der die Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen leitet. Seit 20 Jahren gräbt der Deutsch-Amerikaner, der 1961 in der US-Metropole Cincinnati geboren wurde, in der Karsthöhle Hohle Fels bei Schelklingen im Achtal. Unter seiner Ägide wurde auch die weltberühmte Venus vom Hohle Fels ausgegraben, das älteste je gefundene Kunstwerk in der Menschheitsgeschichte.

In den 1970er Jahren wurde im Geißenklösterle (einer Karsthöhle südlich von Weiler, einen Ortsteil von Blaubeuren im Alb-Donau-Kreis) bereits ein ähnliches Teil gefunden, allerdings sehr stark verwittert und abgenutzt.

Dieses Werkzeug aus dem Hohle Fels aber hat die Jahrtausende fast unversehrt überdauert, tief vergraben im lehmigen Boden der eiszeitlichen Höhle. Laura Bauer, eine studentische Mitarbeiterin des Tübinger Instituts, hat das aus 15 Einzelteilen bestehende Stück am 26. Juni und 5. August 2015 bei routinemäßigen Grabungen gefunden. Die Tübinger Archäo-Technikerin Maria Malina hat die Puzzleteile in ihrem Labor vorsichtig mit Wasser gereinigt, getrocknet und dann verleimt.

Ab 23. Juli 2016 im Blaubeurener Museum zu sehen

Ab diesem Samstag, 23. Juli, wird das Seilwerkzeug im Urgeschichtlichen Museum (urmu) in Blaubeuren als „Fund des Jahres“ ausgestellt. Das diesjährige Schwerpunktthema des Museums sei die steinzeitliche Spitzentechnik, so die Geschäftsführende Direktion Stefanie Kölbl. „Dieser Fund passt haargenau zu unserem Projektschwerpunkt.“

Grabungsleiter Conrad weckt Hoffnungen auf weitere Funde. Es könnte sein, dass im Hohle Fels noch weitere Preziosen zum Vorschein kommen. „Ein komplettes Werkzeug wie dieses zu finden ist allerdings ein absoluter Glücksfall.“

Der Fundort

Das Werkzeug lag nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt, an der im September 2008 etwa 20 Meter vom Höhleneingang entfernt in der großen Halle die legendäre Venus vom Hohle Fels – sechs Bruchstücke aus bearbeitetem Elfenbein – aus der jungpaläolithischen Kultur des Aurignacien gefunden wurde.

Die archäologischen Ausgrabungen im Hohle Fels werden seit 1977 jährlich von Archäologen der Universität Tübingen im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg durchgeführt, seit 1997 unter Leitung von Conard.

Die vier bedeutendsten Höhlen der Alb

Die Karsthöhle, die aus einem 15 Meter langen Gang und einer 500 Quadratmeter großen Halle besteht, ist neben der Vogelherd Höhle (Niederstotzingen), dem Hohlenstein-Stadel (Asselfingen) und dem Geisßenklöstele (Blaubeuren) einer der wichtigsten Fundplätze der Jungsteinzeit (Jungpaläolithikum) in Mitteleuropa. Gemeinsam mit diesen Ausgrabungsstätten im Lonetal und Achtal ist der Hohle Fels bei der Unesco als Weltkulturerbe nominiert.

Die Fachwelt sei begeistert von dem neuem Fund, berichtet Frühhistoriker Conard. „Es handelt sich um das erste Werkzeug in der Menschheitsgeschichte, von dem wir wissen, das es zur Herstellung von Seilen verwendet wurde.“

Archäologen machen die Probe aufs Exempel

Wie das genau funktionierte hat ein Archäologen-Team von der Universität Lüttich in Belgien unter Leitung von Veerle Rots experimentell nachgewiesen. Sie erstellten ein Modell und flochten aus Rohrkolben ein Seil, indem sie vier Fasern zusammendrehten.

Die feinen Riefen in den Löchern gaben dabei die Richtung vor. „Dieses Werkzeug beantwortet die Frage, wie im Paläolithikum Seile hergestellt wurden“, betont Archäologin Rots, „ein Rätsel, dass Wissenschaftler für Jahrzehnte beschäftigt hat.“

Ein Alltagsgegenstand, kein Schmuckstück

Im Gegensatz zur Venus vom Hohle Fels oder dem Löwenmenschen aus der Vogelherd-Höhle handelt es sich bei dem Seilwerkzeug nicht um ein Schmuckstück oder ein rituelles Artefakt, sondern um einen Alltagsgegenstand, der den Menschen der Steinzeit das Leben erheblich erleichtert haben muss.

Zwar konnten die frühen nomadischen Bewohner der Alb auch Lianen von Bäumen als Seile und Taue für den Transport oder die Jagd verwenden. Doch Bäume waren in der öden Tundra und Mammutsteppe der Altsteinzeit rar. Durch die mechanisierte Produktion konnten sie so viele Seile herstellen, wie sie benötigten.

„Der Frühmensch war genauso schlau wie der heutige Mensch“

Es sei schon immer der größte Fehler der urgeschichtlichen Forschung gewesen, so Conard, den Frühmenschen zu unterschätzen. „Er war genauso schlau wie der heutige Mensch.“ Dieses Seilwerkzeug sei ein sehr gut erhaltenes Beispiel für die „Technologie in der Steinzeit.“

Archäologier im Hohle Fels

Geschichte der Funde im Hohle Fels

Seit der Töpfer Karl Friedrich Rixinger im Jahr 1830 im Hohle Fels beim Graben nach Lehm und Ton durch Zufall auf die Knochen eines Höhlebären stieß, ist die Alb-Höhle eine Parade-Grabungsstätte für Archäologen.

Erste Grabungen der beiden Pfarrer und Naturforscher Oscar Fraas und Josef Hartmann brachten 1870/71 Knochenreste von Höhlenbären, Rentieren, Mammuts und Wildpferden zutage. 1958 bis 1960 wurde abermals gegraben – von dem Prähistoriker Johannes Gustav Riek.

Ab 1977 folgte dann die systematische millimeterweise Erkundung des Erdreiches in der Höhle durch das baden-württembergische Landesamt für Denkmalpflege, erst unter Joachim Hahn und seit 1997 unter Nicholas Conard.

Einmalige Erhaltung der Fundstücke

Einmalig am Hohle Fels sei die Erhaltung der Fundstücke, erläutert Archäologe Conard. „Dieses Werkzeug ist ein Schlüsselfund.“

Es sei in einer sehr fundreichen Schicht entdeckt worden, in der viele Teilfragmente aus Elfenbein lagen, berichtete die Entdeckerin Laura Bauer. „Als ich es in der Hand hielt, war mir schnell klar, dass es sich um ein ganz besonderes Stück handeln müsse Es gab viele kleine Highlights während den Grabungen. Aber dieses Werkzeug ist das bedeutendste Fundstück.“

Glaube, Kultur und Technologie in der Steinzeit

Die Funde in den vier bedeutenden Alb-Höhlen geben nicht nur einen tiefen Einblick in die Glaubenswelt der Menschen vor über 40 000 Jahren. Sie zeigen auch, wie kreativ und kulturell und technologisch hoch entwickelt die Alb-Bewohner damals waren. Conard: „Egal in welchen Fundgattungen – wir auf der Schwäbischen Alb eine unglaublich große Zahl an Innovationen. Das ist absolut einmalig und wertvoll in der Welt.“

Wanderungen auf die Schwäbische Alb in der Steinzeit

Von Afrika nach Mitteleuropa

Die ersten modernen Menschen kamen vor 45 000 Jahren aus Afrika ins heutige Baden-Württemberg. Die Schwäbische Alb war in dieser Frühphaseeines der wichtigsten Siedlungsgebiete in Europa. Aufgrund der vielen Karsthöhlen bot sie Schutz und Unterschlupf vor der Witterung und den eiskalten Wintern.

Durch ihre Steppen zogen Mammuts, Wollnashörner und Riesenhirsche, die Nahrung und Kleidung lieferten. Weil die Bevölkerung relativ groß und stabil war, konnten Kunstgegenstände wie die Venus vom Hohle Fels und die ersten Musikinstrumente aus dem Geißenklösterle entstehen.

Aurignacien

Die 33,3 Gramm schwere Venus-Skulptur, die einen üppigen Frauenkörper ohne Kopf, dafür aber mit überdimensionalen Brüsten darstellt, stammt aus dem Aurignacien, der letzten Periode der europäischen Altsteinzeit vor 43 500 bis 31 000 Jahren. In ihr breitete sich der anatomisch moderne Mensch von Afrika kommend in weiten Teilen Europas aus, wo er auf den Neandertaler traf.

Gravettien und Magdalénien

Auf das Aurignacien folgte das Gravettien (31 000-24 000. Mammutjäger (so benannt, weil sie von der Jagd auf Ur-Elefanten lebten) hinterließen ihre Spuren in weiten Teilen Europas. Die Jäger kamen aus dem Osten und kehrten dorthin zurück, als es kälter wurde. Der nächste Abschnitt der Menschheitsgeschichte in Mittel- und Westeuropa, die Zeit vor 18 000 bis 12 000 Jahren, wird als Magdalénien bezeichnet. Der älteste Fundplatz aus dieser Kulturstufe in Süddeutschland liegt bei Munzingen.

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.evolution-oder-kreationismus-von-adam-und-eva-affen-und-dinos.fd7e21de-cb64-48d4-8c6f-9a58e1147eaa.html