Joe Corré ist ein Kind des Punks, der Sohn von Designerin Vivienne Westwood und Punkmusik-Pionier Malcolm McLaren. Am 26. November 1976 wurde „Anarchy in The UK“ von den Sex Pistols veröffentlicht. Genau 40 Jahre später will Corré seine gesammelten Punk-Devotionalien verbrennen.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

London - Herrlich, wie sich Joe Corré aufregen kann. Wie er die Augen verdreht und an die Decke starrt, wenn das Wort Punk fällt. „Punk ist vorbei, Punk ist tot. Punk ist nur noch ein Wort, das nichts mehr bedeutet. In den 1970er Jahren war Punk gefährlich, heute ist er das nicht mehr“, sagt Joe Corré, der Sohn von Design-Ikone Vivienne Westwood und Malcolm McLaren, dem einstigen Manager der Sex Pistols.

 

Corré sitzt bei einer Debatte im Museum of London auf der Bühne, bei der es darum geht, was Punk in London heute noch ist. Er ist der Buhmann der Runde, weil er am Samstag, den 26. November seine Punk-Devotionalien im Wert von fünf Millionen Pfund – was derzeit etwa 5,8 Millionen Euro entspricht – verbrennen will. Exakt auf den Tag genau wurde vor vierzig Jahren der wütende Song „Anarchy in the UK“ von den Sex Pistols veröffentlicht. Die Leute sind aufgebracht, weil der 48-jährige Corré seine Sammlung verbrennen will. Darunter ist etwa ein Taschentuch mit Union Jack und Sicherheitsnadeln. Ein löchriger Mohairpullover. Ein ärmelloses Topp mit Nieten, Sicherheitsnadeln und Totenköpfen. Und so weiter und so fort. Ist diese Aktion Kunst? Bloße Provokation? Pure Dummheit? Clevere Werbung?

Corré ist ein stattlicher Mann, der nicht nur ob seiner Größe und seines gestreiften Anzugs auffällt an diesem Abend im Museum of London, zu dem viele illustre Menschen gekommen sind. Viele, die die Punkzeit in London live miterlebt haben. Viele, die sauer auf Corré sind, weil er ihr kulturelles Erbe zerstören will – und das Geld nicht etwa einem guten Zweck spendet.

Corré gründete die Unterwäschefirma „Agent Provocateur“

1976, als Punk in London groß wurde, als die Sex Pistols ihre kurze Karriere starteten, war Corré neun Jahre alt. Und schon ein Punk. Ein Bub, der gehänselt und auf der Straße bespuckt wurde. Die Schaufenster des Shops seiner Eltern in der Kings Road – mit dem offensiven Namen „Sex“ – wurden von Fußballfans eingeschlagen, sein Elternhaus wurde von National-Front-Anhängern umstellt. Corré wuchs in Armut auf. Sein Vater war schon ab dem Moment, als er erfuhr, dass Nachwuchs unterwegs ist, gegen ihn, und wollte, dass Westwood abtreiben lässt. Als Malcolm McLaren 2010 64-jährig starb, hatte er seinen einzigen Sohn aus dem Erbe streichen lassen.

Corré selbst kam zu Namen und zu Reichtum, als er 1994 eine Unterwäschefirma mit seiner damaligen Frau Serena Rees gründete. Der Name passt zu ihm: „Agent Provocateur“. Die Firma wurde nach der Scheidung an eine Investment-Firma für 60 Millionen Pfund verkauft. Corré war ein gemachter Mann. Und einer, der sich auflehnt. Er ließ sich 2007 nicht in den Ritterstand als „Member of the British Empire“ erheben, weil er Tony Blairs Haltung zum Irakeinsatz nicht gut heißen konnte.

Auch Vivienne Westwood ist bei der Brand-Aktion dabei

Heute ist er also einmal mehr in den Schlagzeilen, weil er seine Punksammlung verbrennen will. Das alles sind Dinge, die ihn auch an seine Kindheit erinnern. „Ich habe so viele gute Erinnerungen an die Punkzeit. Ich war ein kleiner Punksoldat. Die Sex Pistols waren brillant. Das ganze Ding war groß und lebendig, aber das war eben zu einer anderen Zeit“, sagt Corré. Doch heute sei das komisch, wenn Firmen wie McDonalds und Louis Vuitton auf einmal das Wort „Punk“ als Werbeplattform benutzen. „Wissen Sie, was Louis Vuitton am Ende jeder Saison mit seinen Klamotten macht, die nicht verkauft worden sind? Sie verbrennen sie. Millionen von Pfund, jede Saison“, erklärt Corré. „Heute ist Punk vom System eingenommen worden, das Wort bedeutet nichts mehr. Deshalb kann ich diese Dinge nur noch verbrennen.“ Seine Mutter Vivienne Westwood würde am Samstag bei der Aktion auch dabei sein.

„Alles wird in Rauch aufgehen“, sagt Corré

Westwood sagte einmal, dass Punk tot war, als Sid Vicious 1979 starb. „Das war das Ende des Punkrocks. Die Idee von Punk war, dass man gegen das Establishment und gegen die Regierung war. Aber was wollte man dagegen tun? Darauf gab es keine Antwort. Und an diesem Punkt war Punk tot“, sagt Corré im Interview. Er regt sich auf, dass Punk jetzt ein Teil des britischen Tourismus ist, dass Boris Johnson, der ehemalige Londoner Bürgermeister, das Museum of London - überhaupt alle – sich auf einmal auf Punk beziehen. Clever wie er ist, lässt er die Diskussion im Museum of London für eine Dokumentation filmen.

„Alles wird in Rauch aufgehen“, sagt Corré. Er weiß, dass viele Menschen seine Aktion lächerlich finden. Er weiß, dass viele richtig sauer sind, weil sie die Klamotten als kulturelles Erbe ansehen. Er weiß, dass schon Bill Drummond von der Band KLF im Jahr 1994 Pfundscheine im Wert von einer Million verbrannte. Ihm ist das alles egal. Ihm gehe es um ein „Statement“. „Punkrock war nie etwas nostalgisches, er hatte eine Dringlichkeit und Vitalität. Wenn man das nicht versteht, hat man Punk nicht verstanden. Man kann sich nicht darüber aufregen, dass ich die Sachen verbrenne. Vielleicht verstehen die Leute das dann am Samstag“, sagt Corré.

Corré unterscheidet zwischen „Wert“ und „Preis“. Warum haben Memorabilien einen gewissen Wert? Wer legt diesen fest? Sein Manifest hat er ins Internet gestellt. Wie man das im Jahr 2016 eben so macht. Dass seine Sammlung an Punk-Devotionalien fünf Millionen Pfund wert sei, sagt er selbst. Jemand anderes hat sie gar auf zwischen fünf und zehn Millionen Pfund geschätzt. „Das sind einzigartige Dinge, man berechnet ihren Preis danach, was jemand dafür zahlen würde. Aber sie stehen eben nicht zum Verkauf“, so Corré. Seine ganze Aktion ist doch vor allem eine gute Werbung für ihn selbst, oder? „Sie besteht auch aus Manipulation der Medien und Menschen. Aber das braucht es, um ein Zeichen zu setzen. Und das ist wiederum Punk“, sagt Corré. Ihm geht es um das große Ganze: „Die Situation nach dem Brexit ist miserabel. Die Wirtschaft wird noch weiter leiden, die Leute werden weiter leiden. Und vielleicht wird aus der Verzweiflung etwas passieren, vielleicht etwas Gutes. Es könnte aber auch schlecht sein“, sagt Corré.

Ihn ärgert die Heuchelei und Scheinheiligkeit, dass es vielen Menschen schlecht geht, dass der Unterschied zwischen der No-Future-Generation und heute gar nicht so groß ist und dass London „ein Unterhaltungspark für reiche Menschen“ geworden sei. „Es ist alles eine Lüge“, schreit Corré zum Schluss ins Mikrofon. Die Diskussion, die auf eineinhalb Stunden angesetzt ist, läuft völlig aus dem Ruder. Alle schreien sich an, Joe Corrés Fanbasis im Publikum brüllt rein. Die Kameras für seine Dokumentation sind natürlich an. Corré ist ein Troublemaker, wie die Briten sagen. Er liebt die Provokation. Und beherrscht die Selbstvermarktung aus dem FF. Das liegt ja in der Familie.

Es wird einen Live-Stream der Aktion auf burnpunklondon.com geben.