Einst galten die Macher des Clubs Alpha in Schwäbisch Hall als Unruhestifter. Heute ist der Verein ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlich-kulturellen Lebens in der Stadt und in ihrem Umland.

Schwäbisch-Hall - Mit seinem Ensemble aus sieben historischen Gebäuden inmitten des mittelalterlichen Stadtkerns von Schwäbisch Hall zählt das Hällisch-Fränkische Museum zu den markanten Beispielen der baden-württembergischen Museumslandschaft. Baulich überragt und konzeptionell dominiert wird das Quartier von der Keckenburg, einem staufischen Wohnturm aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Und die Zeitreise, auf die der Besucher geschickt wird, reicht von der Erdgeschichte über die regionalen Siedlungsepochen und die Haller Stadtentwicklung im Spiegel der internen und externen Einflüsse bis hin zum kulturellen Geschehen und der Kunst.

 

Wer angesichts dieser historischen Bandbreite und der frappierenden Fülle an Daten und Exponaten mal eben auf ein schlappes 50-jähriges Bestehen kommt, hat da schlechte Karten. Es sei denn, der Jubilar kann bei seinen Aktivitäten nicht nur auf eine landesweite Vorreiterrolle verweisen, sondern auch innerhalb des Haller Mikrokosmos auf eine Vielzahl kommunaler und kultureller Anstöße zurückblicken. So wie der 400 Mitglieder zählende Club Alpha 60. Im Vorfeld ihrer dreitägigen Geburtstagsfeier vom 30. September bis 2. Oktober war den Soziokulturellen im Museum eine Ausstellung gewidmet. Von der Rührigkeit des Clubs – und seiner Widersacher – zeugen auch vier pralle Schuber mit Zeitungsausschnitten im Stadtarchiv.

Gegründet wurde Alpha 60 im Juli 1966, dem Jahr, in dem laut eines Buchtitels des Braunschweiger Literaten Frank Schäfer „die Welt ihr Bewusstsein erweiterte“. Und just daran wollten in der Kleinstadt im Hohenlohischen auch sieben junge Leute zwischen 17 und 22 Jahren, meist Studenten, teilhaben. „Damals war es in Hall saumäßig langweilig“, erinnert sich der 73-jährige Walter Müller, einer der Gründerväter und seinerzeit Medizinstudent. Die Aussicht, dass sich das Leben in der Salzsiederstadt für die Jungen auch weiterhin zwischen dem Freibad und der Bäckerei Brunner hinschleppt, ließ die Gründerclique nicht ruhen. Man schloss sich zu einem „Geselligkeitsverein“ zusammen. Den eher abstrakten Clubnamen Alpha 60, so Walter Müller, habe er dem Godard-Film „Lemmy Caution gegen Alpha 60“ entlehnt.

Schulverbot wegen Verhütungstipps

Der harmlos klingende Registereintrag „Geselligkeitsverein“ wurde wohl nicht ohne konspiratives Kalkül gewählt – so war es leichter, als erstes Vereinslokal das Anlagencafé in den Kocher-Auen von der Stadt zu mieten. Dass es sich dabei um ein Schützenhaus von 1828 handelt, entbehrt nicht eines gewissen Symbolcharakters, denn in der nunmehr ein halbes Jahrhundert währenden Alpha-Chronik wurde oftmals – verbal und auf dem Papier – scharf geschossen. „Gegenwind gab’s immer“, sagt Walter Müller, der später für die SPD im Gemeinderat saß und zwei Legislaturperioden dem Landtag angehörte. Ein dickes Lob fällt indes für die jeweiligen Oberbürgermeister ab, sie hätten all die Jahre unabhängig von ihrer Couleur gegenüber dem Club eine liberale Grundeinstellung an den Tag gelegt.

War es in den Anfangsjahren noch passiert, dass gegen eine Schülerin ein zweiwöchiges Unterrichtsverbot verhängt wurde, weil sie ganz im Sinne des Clubs am Mädchengymnasium Ratschläge zur Verhütung verteilte, so kam es im Februar 1968 zum ersten richtigen Knatsch. Im Rahmen einer von Club Alpha und Juso Müller organisierten „Woche der Demokratie“ mit Demo gegen den Vietnamkrieg war als Redner auch der Studentenführer Rudi Dutschke an den Kocher gereist.

Bei der Aktion flogen Farbbeutel; zudem entzündete sich an einer Resolution ein handfester Konflikt zwischen den Veranstaltern und der Lokalzeitung. Das „Haller Tagblatt“ lehnte es ab, die Erklärung in vollem Wortlaut zu veröffentlichen, und fühlte sich von auswärtigen Studenten gehörig unter Druck gesetzt. Die Alpha-Leute wiederum erhoben den Vorwurf, die Zeitung würde ihre Monopolstellung ausnützen, „um bestimmte Tatbestände zu unterdrücken oder entstellt wiederzugeben“.

Die Retourkutsche erfolgte prompt, indem das „Haller Tagblatt“ in einer Erklärung zum „Dutschke-Sonntag“ ein „unverständliches Kesseltreiben“ samt „Angriff auf die Pressefreiheit“ monierte. Im August desselben Jahres riefen der Club und das „Aktionszentrum demokratisches Schwäbisch Hall“ zu einem Protestzug gegen das Abwürgen des Prager Frühlings durch die sozialistischen Bruderstaaten auf – mit dem Nebeneffekt, dass sich so der stets virulente Vorwurf der Linkslastigkeit zumindest abschwächen ließ.

Nachrichtenboykott in der Kleinstadt

Die Folgejahre, das lässt sich wie eine Fieberkurve an den Presseveröffentlichungen ablesen, nutzte der Club für die Etablierung seines Kulturprogramms. Allein die Auflistung der Kabarettisten, Literaten, Künstler und Musikschaffenden liest sich wie ein Who’s who der damaligen progressiven Szene: Franz Josef Degenhardt, Hanns Dieter Hüsch, Dietrich Kittner, Klaus Staeck, Herrmann L. Gremliza, Hannes Wader, Colin Wilkie, Reinhard Mey. Alle, die den behäbigen Zeitgeist wider den Strich bürsteten, waren da.

Die 1970er Jahre haben sich für den Club nicht gut angelassen. Da wird von Rockerübergriffen und Schlägereien im Anlagencafé berichtet. Und auch der brüchige Burgfrieden mit dem „Tagblatt“ ist im Sommer 1973 erst mal dahin. In einem Beitrag der Clubzeitschrift „alpha press“ über seine Person glaubte der Lokalchef Helmut Meyer dicke Haare in der Suppe entdeckt zu haben und befand auf „Verbreitung unwahrer Behauptungen“. Von Stund an, so wurde dekretiert, werde nichts mehr veröffentlicht, was vom Club oder seinen Mitgliedern eingereicht wird. Da machte es auch keinen Unterschied, dass der für „alpha press“ verantwortliche Arbeitskreis formell vom Verein getrennt war.

Der Nachrichtenboykott, der laut Walter Müller ein Dreivierteljahr dauerte, wurde natürlich auch in der landesweiten Presse aufgegriffen. So überschrieb etwa die „Stuttgarter Zeitung“ am 5. November 1973 einen Kommentar recht drastisch mit „Kleinstadt-Krieg“. In der Hysterie der RAF-Anschläge flammten 1977 die Dispute zwischen der Lokalpresse und dem Club wieder auf, als es um die Frage der Abgrenzung vom Terrorismus ging.

Die Asylthematik ist eine neue Herausforderung

50 Jahre Club Alpha 60, das ist einerseits eine Chronique scandaleuse unter kleinstädtischem Vorzeichen, andererseits aber auch eine Erfolgsgeschichte par excellence. Die Liste der Gründungsinitiativen und Kooperationen ist lang und reicht vom Theater zum Jazz, vom Kinder- und Jugendzentrum zum Stadtjugendring, vom Mieterverein über Pro Familia bis zur Schalmeienkapelle. Hat die alternative Clubpostille „alpha press“ im Jahr 2010 nach insgesamt bald 400 Ausgaben die Krallen eingezogen, so ist das maßgeblich vom Club getragene kommunale „Kino im Schafstall“ nach wie vor ein wichtiger Merkposten im Städtle. Die cineastische Begeisterung lässt sich übrigens bis ins Jahr 1945 zurückverfolgen, als zur Belebung der eng mit dem Namen Gerhard Storz, dem späteren christdemokratischen Kultusminister des Landes, verbundene Haller Kulturszene auch die Gründung eines Filmvereins zählte.

Blickt man auf die Abfolge der Vereinsheime, so dokumentieren sie den Weg der Alpha-Leute von den einst verfemten Unruhestiftern zu einem anerkannten Partner des kulturell-gesellschaftlichen Lebens in der Stadt und ihrem Umland. Anfang der 1980er Jahre musste der Club das Anlagencafé wegen der Landesgartenschau verlassen, als Zwischenstation folgte das alte Spritzenhaus der Feuerwehr. Und auch der Löwenkeller an der Stuttgarter Straße sollte eine Übergangslösung sein, daraus wurden freilich mehr als drei Jahrzehnte.

Jetzt muss die einstige Brauerei-Dependance einem Verkehrsprojekt weichen, ein Ende der Provisorien scheint somit absehbar. Die neue Zeit trägt die Chiffre SMS 13/2. Dahinter verbirgt sich ein Neubau an der Spitalmühlenstraße. Das neue Domizil ist laut dem Vereinsvorsitzenden Rainer Fendt mit 850 000 Euro veranschlagt. Die Eigenleistung des Vereins schlägt mit 65 000 Euro zu Buche, den Rest der Finanzierung tragen zu zwei Dritteln die Stadt und zu einem Drittel das Land.

Zwar sind mit der Flüchtlings- und Asylthematik neue Herausforderungen auf den Club zugekommen, aber die Notwendigkeit einer globalen Friedensarbeit sieht man damit eher noch verstärkt. Und trotz des verbreiteten Rückzugs ins Private steht für Rainer Fendt fest: „Für uns bleibt die Fahne der Aufklärung oben.“