500 Jahre ist es für Konstanz nur bergab gegangen. Erst der Bau der Universität hat der Stadt an Deutschlands letztem Zipfele wieder Selbstbewusstsein gegeben. Aber ist die Unigründung wirklich wichtiger als das Konzil?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - Das wird eng: fast doppelt so viele Studenten wie üblich werden im kommenden Wintersemester an der Universität Konstanz im Fach Psychologie ihr Studium aufnehmen. Schuld ist eine Panne. Für die 112 Studienplätze hat die Univerwaltung nämlich mehr als 250 Zusagen verschickt. Jahr für Jahr ging das bestens auf. Viele Abiturienten verschicken mehrere Bewerbungen und entscheiden sich später für eine andere Universität. Nur diesmal wollte kaum einer absagen.

 

Man habe sich schlicht und ergreifend verzockt. Allerdings, so sagt der Unirektor Ulrich Rüdiger, sei die Panne ja auch ein Beleg dafür, wie beliebt und erfolgreich die kleine Universität am See im 50. Jahr ihres Bestehens geworden ist. Für 3500 Studierende ist sie einst konzipiert worden. Heute sind es knapp 12 000. „Die Struktur hat nicht überall standgehalten“, sagt Rüdiger. Und so ist der Experimentalphysiker seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren immer wieder als Bauherr gefragt. Gegenwärtig wirbt er bei der Stadt für die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans. Demnächst werde auf dem letzten freien Bauplatz ein neues Labor errichtet.

Die Architektur ist einer der besonderen Schätze der Universität. Die Herren im Stuttgarter Bildungsministerium hatten an rechtwinklige Flachdachbauten mit der typischen 1,20-Meter-Rasterung gedacht. Doch das Konstanzer Unibauamt schuf einen Komplex mit Bullaugen, einem aus Pyramiden gestalteten Glasdach und spielerisch ineinander geschobenen Bauten, in denen sich selbst Altstudenten verlaufen.

„Man meint, hier hätten sich Gaudi und Hundertwasser getroffen“, sagt Rüdiger. Er weiß, dass seine Studenten in einer Mensa speisen, deren Ausblick bundesweit seinesgleichen suchen dürfte. Wer sich das Stammessen (vegetarische Couscous-Pfanne) vom Band holt und auf die Terrasse tritt, sieht Segelschiffe vor der Mainau kreuzen, Fähren nach Meersburg pendeln und kann im Dunst die nahe Alpenkette erkennen. „Da muss eine Universität hin“, soll der damalige Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger (CDU) gesagt haben, als er den Bauplatz auf dem Konstanzer Gießberg sah. Kiesinger selbst hatte die Stadt an „Deutschlands letztem Zipfele“ als Standort auserkoren.

Am Rande einer Veranstaltung am 6. September 1959 in Singen schob er dem damaligen Konstanzer Landrat Ludwig Seiterich einen Zettel zu: „Ich habe vorhin (Stadtrat) den Gedanken – falls neue Universitätsgründungen notwendig werden – Konstanz für unser Land vorgeschlagen.“ Die Universität, so der Stadtarchivar Jürgen Klöckler, verfüge über einen „veritablen Gründungsmythos in Form eines Gründungsfresszettels“.

Ein solcher Mythos passt zum Selbstverständnis, das die Konstanzer Universität von Anfang an pflegte. Den „Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ ließ man gar nicht erst einziehen, schon deshalb, weil es Talare gar nicht gab. Doch auch feierliche Akte wurden als Graus empfunden. Burschenschaften blieben bedeutungslos.

Während anderswo die Lehrstuhlinhaber selbstherrlich ihre Pfründe verwalteten, mussten sie in Konstanz die Mittel für die Forschung beim zentralen Ausschuss für Forschungsförderung erst einwerben. Noch heute beträgt die Grundausstattung für einen Lehrstuhl nicht mehr als 3000 Euro. Die Labore stehen allen zur Verfügung. „Es gibt keine Erbhöfe“, sagt der Rektor Rüdiger, der in Jeans und schwarzem Polohemd in seinem Büro sitzt.

Man habe Reformuniversität sein wollen und sei es geblieben, sagt Rüdiger. „Halbes Jahrhundert – ganze Reform“, heißt es auf einem Plakat, das in diesen Jubiläumstagen über dem Haupteingang hängt und die Studenten, die dort im neuen, selbst verwalteten Biergarten sitzen, an den besonderen Charakter ihrer Hochschule erinnert.

Für die Konstanzer Stadtgeschichte bezeichnete die Unigründung einen Wendepunkt. Seit die letzten Konzilsväter 1418 die Stadt verlassen hatten, hatte die Stadt einen kontinuierlichen Abstieg erlebt. Der Start der Universität im Sommer 1966 müsse in seiner Bedeutung nun sogar über die mittelalterliche Kirchenversammlung gestellt werden, findet der Historiker Lothar Burchardt. Er muss es wissen. Schließlich lehrte er nicht nur an der Konstanzer Universität Geschichte, er ist auch der Vater des heutigen Oberbürgermeisters Uli Burchardt (CDU). Dessen Vorgänger Horst Frank wiederum war Deutschlands erster grüner Oberbürgermeister. Auch diese Wahl wäre ohne die Universität kaum denkbar gewesen. Die ganze Stadtgesellschaft hatte sich gewandelt.