Das älteste Gestüt Deutschlands feiert am Samstag Hoffest und öffnet am Sonntag die Stalltüren: Seit 500 Jahren werden in Marbach an der Lauter Pferde gezüchtet. Aber was sind heutzutage die Aufgaben eines Haupt- und Landgestüts?

Stuttgart - Am Samstag hat Winfried Kretschmann Geburtstag. Der Ministerpräsident vollendet sein 66. Lebensjahr – ist aber trotzdem im Dienst. Eineinhalb Stunden seines Ehrentages wird der „MP“ der ältesten Institution des Landes Baden-Württemberg widmen: dem Haupt- und Landgestüt Marbach bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb, dessen Existenz im Sommer 1514 erstmals urkundlich erwähnt wurde.

 

Zum offiziellen Festakt mit 300 geladenen Gästen um 14 Uhr haben sich – neben Honoratioren, Politikern und ehemaligen „Gestütern“ – Winfried Kretschmann und sein Landwirtschaftsminister Alexander Bonde angesagt. Die Reden der beiden Grünen-Politiker erwartet man in Kreisen des Traditionsgestüts sowie der Pferdezüchter mit Spannung. Der Grund: Thomas Reumann, der Landrat des Kreises Reutlingen, zu dem Marbach gehört, hat im vergangenen Februar einige Abgeordnete sowie Bürgermeister, in deren Gemeinden das Gestüt sogenannte Deckstationen betreibt, zusammengetrommelt, um den Anfängen zu wehren. Zuvor hatte Finanzminister Nils Schmid (SPD) angekündigt, die Landesanstalten wie etwa das Gestüt in Marbach nach weiteren Einsparpotenzialen zu überprüfen.

Warum leistet sich ein Land überhaupt ein solches Gestüt?

Die rund 140 Mitarbeiter des Gestüts, vor allem aber die Pferdezüchter und Reiter befürchten, dass es unter der grün-roten Landesregierung wieder eine Privatisierungsdebatte geben könnte. Dabei habe die historisch bedeutsame Zuchtstätte in den zurückliegenden zwanzig Jahren ihren Hengstbestand sowie die Zahl seiner Mitarbeiter bereits stark verringert.

Auch im Jubiläumsjahr stellen sich viele die Frage: Warum leistet sich unser Bundesland überhaupt ein solches Gestüt? Das hat zunächst historische Gründe. Über Jahrhunderte lieferte das Gestüt die Pferde für das Militär – sogar die Preußen kauften Tiere in Marbach. Außerdem wurden Kutsch- und Arbeitspferde für Könige und Herzöge, die Post und die Landwirtschaft gezüchtet. Weltbekannt ist Marbach wegen seiner Araberzucht. 1817 wurde sie von König Wilhelm I. gegründet; es war die erste kontinuierliche Zucht der edlen Vollblüter in Europa. 1932 gingen sie in den Besitz des Landes über; die „Silberne Herde“ gilt heute als Legende.

Nicht nur die Zucht der Pferde steht im Mittelpunkt

Am Grundgedanken der staatlichen Pferdezucht hat sich nichts geändert, obwohl das Pferd „nur“ für den Sport und die Freizeit verwendet wird: Normale Züchter können sich bestenfalls ein paar wenige Stuten leisten, nicht aber die teuren Hengste, deren Haltung schwierig und aufwendig ist. Also stellt der Staat ihnen die Hengste zur Verfügung, auf den berühmten Hengstparaden werden sie den Züchtern präsentiert. Dieses System gibt es übrigens in ganz Europa. Heute stehen nicht nur die Zucht und Ausbildung der Pferde im Mittelpunkt: Marbach ist inzwischen bundesweit auch der größte Ausbildungsbetrieb für den Beruf des Pferdewirts.

Und was genau steckt hinter der Bezeichnung Haupt- und Landgestüt? Hauptgestüt bedeutet, dass aus einer eigenen Stutenherde Pferde gezüchtet werden für den Verkauf sowie um den eigenen Hengstbestand zu erhalten. Landgestüt bedeutet, dass – wie in Marbach – 60 Hengste zu erschwinglichen Decktaxen für die Züchter bereitgestellt werden. Aktuell gehen bundesweit die Bedeckungszahlen deutlich zurück, weil der Import von Billigpferden aus dem Osten den Markt belastet. Neben Marbach ist nur das bayerische Schwaiganger ein Hauptgestüt – landeseigene Landgestüte gibt es bundesweit etwa ein Dutzend.

Die Gestütsteile sind auch mit dem Rad zu erreichen

Die Festivitäten für die Öffentlichkeit beginnen heute um 15.30 Uhr mit einem Hoffest in Marbach und der offiziellen Einweihung eines Radrundwegs (siehe Grafik). Morgen sind beim Tag der offenen Tür ab 10 Uhr die Ställe und Gestütshöfe in Marbach, Offenhausen und St. Johann zu besichtigen. Anfang Juli gibt es die „Marbach Classics Open“ mit der Reutlinger Philharmonie und einem Schauprogramm, zu dem sogar vier Lipizzaner-Hengste aus der Spanischen Hofreitschule in Wien erwartet werden.

Das Haupt- und Landgestüt ist ein Betrieb des Landes Baden-Württemberg und untersteht dem Ministerium für den Ländlichen Raum. Das Gestüt liegt auf der Schwäbischen Alb im Landkreis Reutlingen; zu ihm gehören das Zentrum in Marbach sowie die Höfe in Offenhausen und St. Johann. 2013 wurde das Gestüt unter Leitung von Astrid von Velsen-Zerweck vom Land mit 4,47 Millionen Euro unterstützt. Fast die Hälfte dieser Kosten erwirtschaftet es selbst durch Einnahmen aus der Fohlenaufzucht, dem Deckgeld der Hengste und durch Pferdeverkäufe. Weitere Einnahmequellen sind die Pensionskosten für private Pferde, der Raps- und Getreideanbau, die Reit- und Fahrschule, die Auktion und Turniere. Die jährlichen Hengstparaden im Herbst, dieses Jahr beim Landwirtschaftlichen Hauptfest auf dem Cannstatter Wasen, gelten als Attraktion. Das Gestüt beschäftigt 90 Mitarbeiter und 45 Auszubildende, unter anderem Tierärzte, Hufschmiede, Bereiter, Zuchtmeister, Sattler und Wagenbauer. 500 000 Besucher besichtigten jährlich das Gestüt sowie das Gestütsmuseum in Offenhausen. Jenseits des touristischen Aspekts hat die Landesinstitution eine wirtschaftliche Bedeutung für die strukturschwache Region. Zudem gehören 180 denkmalgeschützte Gebäude zum Gestüt.

Um sich die drei Touren genauer anzusehen, klicken Sie auf die Grafik!

Das Ausbildungszentrum

Das Marbacher Gestüt ist nicht nur das älteste staatliche Gestüt Deutschlands, sondern eines der ältesten Gestüte der Welt. Mitten im Unesco-Biosphärengebiet Schwäbische Alb gelegen, werden mehr als 500 Pferde gezüchtet, gehalten und ausgebildet; 250 davon gehören dem Gestüt, die anderen privaten Besitzern. 900 Hektar Fläche verteilen sich auf die drei Gestütshöfe Marbach, Offenhausen und St. Johann. Marbach ist Deutschlands größter Ausbilder für den Beruf „Pferdewirt mit Schwerpunkt Zucht und Haltung“, so die offizielle Bezeichnung. Das „Kompetenzzentrum Pferd für Baden-Württemberg“ in Marbach ist zugleich der Sitz der Vereinigung der Europäischen Staatsgestüte. Das Wahrzeichen von Marbach steht im Innenhof des historischen Gestütshofes: der im Jahr 1844 errichtete Stutenbrunnen mit der Bronzeplastik einer säugenden Stute. Dort gibt es auch ein Informationszentrum. Die Stallungen darum herum beherbergen die Deckhengste.

Die Aufzucht der Fohlen

Sechs Monate lang tummeln sich die Fohlen mit ihren Müttern auf den Weiden. Nach dieser Zeit werden Stuten und Fohlen getrennt. Die Stutfohlen werden zum Fohlenhof bei St. Johann, die Hengstfohlen auf die Aufzuchtstation in Offenhausen gebracht. Vor dem Absetzen der Fohlen von ihren Müttern erhalten die in Marbach geborenen Warmblutfohlen nicht mehr das traditionelle Brandzeichen „M“ wie früher, sondern einen Computerchip, der in die Halsmuskulatur eingesetzt wird, mit ihren individuellen Daten. Nach zweineinhalb Jahren werden die Junghengste gesichtet und ausgebildet – nur die Besten bleiben als Deckhengste auf dem Gestüt; auch bei den Stuten wird eine Auswahl vorgenommen. Die ausgemusterten Pferde werden auf den Marbacher Pferdeauktionen verkauft.

Die Hengste und die Züchter

Auf dem Gestütshof Offenhausen, einem ehemaligen Klosterhof, befindet sich die Besamungsstation. Sie beliefert die Züchter im Land und weltweit mit Samen, der tiefgefroren verschickt wird und den Stuten von Tierärzten eingepflanzt wird. 16 der insgesamt 60 Gestütshengste stehen dort in ihren Boxen: Vollblutaraber, Warmblüter und Kaltblüter. Die Hengste des Marbacher Gestüts veredeln seit Jahrhunderten die baden-württembergische Pferdezucht. Der Bedarf an robusten Arbeitstieren für die Landwirtschaft ist seit den 50er Jahren geschrumpft, stattdessen sind elegante und leistungsfähige Reitpferde gefragt. Inzwischen sind vor allem Hobbyreiter, deren Zahl leicht zurückgeht, die Kunden von Marbach. Die Marbacher Stammherde mit insgesamt rund 50 Stuten – darunter auch die „Silberne Herde“ der 20 Araberstuten (siehe Foto) – ist der Ausgangspunkt der Zucht. Für den Samen der Marbacher Hengste zahlen Pferdebesitzer, die ihre eigene Zucht veredeln wollen, bis zu 1000 Euro Deckgeld.