Der Fall einer mit Vierlingen schwangeren 65-Jährigen aus Berlin schlägt hohe Wellen. Jetzt diskutieren manche Reproduktionsmediziner eine Lockerung der deutschen Gesetzgebung. Andere sind strikt dagegen.

Stuttgart - Eine 65-jährige Lehrerin aus Berlin hat in der RTL-Sendung „extra“ ihre Entscheidung für eine künstliche Befruchtung im Ausland verteidigt. Die alleinerziehende Annegret R. ist im fünften Monat mit Vierlingen schwanger, sie hatte sich Eizellen und Samen spenden lassen und sich einer Hormonbehandlung unterzogen. „Ich bin der Meinung, dass jeder sein Leben so leben sollte, wie er möchte.“ Da es die medizinische Möglichkeit gebe und sie „von Tausenden“ genutzt werde, dürfe man sie auch nutzen.

 

In der Sendung präsentierte sich Annegret R. in innigen Szenen mit ihrer neunjährigen Tochter, die sich nach Angaben der Mutter ein Geschwisterkind gewünscht habe. Als ihre jüngste Tochter 2006 geboren wurde, machte R. schon damals bundesweit als 55-jährige Mutter Schlagzeilen und hatte mit ihren 13 Kindern, die von fünf Vätern stammen, einen Auftritt in der Talkshow von Günther Jauch. Annegret R.s Frauenarzt gab damals an, dass es bei der Schwangeren keine größeren Komplikationen gebe. Das Mädchen war auf natürlichem Weg empfangen worden.

Der Bundesverband der Frauenärzte hat jetzt dagegen auf die hohen Risiken des allzu späten Mutterglücks hingewiesen: „Von einer Schwangerschaft in diesem Alter, die nicht spontan entstanden ist, kann nur abgeraten werden“, sagte der Verbandspräsident Christian Albring. Zum einen sehen die Fachärzte die extrem seltenen Vierlingsschwangerschaften „in jedem Alter mit erheblichen Risiken und Gefahren für Mutter und Kinder verbunden“. Nährstoff- und Sauerstoffangebot für die Embryonen sei sehr knapp, was die Entwicklung stören und später zu Herzkreislauferkrankungen, Bluthochdruck oder Diabetes führen könne. Die Gebärmutter werde stark gedehnt, weshalb schon früh Wehen einsetzen könnten. Vierlingsschwangerschaften würden deshalb im Durchschnitt bereits nach 31 Wochen beendet – durch Kaiserschnitt oder eine Frühgeburt. Die Frühgeborenen seien erhöhten Risiken für Hirnblutungen, Lähmungen sowie Seh- und Hörschäden ausgesetzt. Zum anderen sei in diesem Fall die Mutter besonders in Gefahr: Es steige das „bei einer alten Frau ohnehin schon hohe Thromboserisiko“.

Manche sprechen von „Verantwortungslosigkeit“

Über die körperlichen und psychischen Belastungen für die Alleinerziehende nach der Geburt kann nur spekuliert werden. Hinter vorgehaltener Hand sprechen manche Ärzte von „Verantwortungslosigkeit“. Es sei wenig wahrscheinlich, dass die Kinder ihre Mutter nach ihrem zwanzigsten Lebensjahr noch haben werden.

Der Gynäkologe Ulrich Hilland, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren in Deutschland, kommentierte den Fall skeptisch: „Es fällt mir schwer zu verstehen, dass eine 65-Jährige, die bereits 13 Kinder hat, noch mal Kinder haben möchte.“ Laut Embryonenschutzgesetz ist die Eizellenspende in Deutschland, also das Entnehmen einer Eizelle bei einer Frau und die Einpflanzung bei einer anderen, untersagt. Reproduktionsmediziner können in Deutschland aber einer Frau eigene Eizellen entnehmen, im Reagenzglas mit dem Spermium befruchten und ihr wieder einpflanzen.

Zur Embryonenübertragung in die Ukraine

Dies geschieht bei Kinderlosigkeit – etwa wegen eines verschlossenen Eileiters – bis zu 70 000 mal im Jahr. Die Erfolgsquote, dass dabei eine Schwangerschaft eintritt, liegt altersabhängig bei bis zu 40 Prozent. „Wir haben die gesetzliche Vorgabe, dass wir nie mehr als drei Embryonen übertragen“, sagt Hilland. Dies sei so wegen der Risiken. In seltenen Fällen komme es vor, dass sich einer der Embryonen teile – eineiige Zwillinge entstünden – und es komme doch zu Vierlingen. Wie „Stern-TV“ berichtet, waren der Berlinerin in der Ukraine vier Embryonen übertragen worden.

Der Bundesverband der Reproduktionsmediziner plädiert dafür, die Eizellenspende auch in Deutschland zuzulassen. Der extreme Fall von Berlin gilt für ihn dabei nicht als Gegenargument. Mit einem klaren Regelwerk ließe sich die Grauzone verkleinern und das Abwandern der Frauen ins Ausland vermindern. Vorschreiben könnte man das maximale Lebensalter der Empfängerinnen – Hilland nennt das Alter von fünfzig – die Zahl der übertragenen Embryonen und alle Fragen, die das Recht des Kindes auf ein Wissen über seine genetische Herkunft beantworten.

Steht Deutschland in Europa bald isoliert da?

Während die männliche Samenspende in Deutschland nie verboten war, sei es die Eizellenspende immer noch und man sei damit in Europa bald „isoliert“, sagt Hilland. Auch Österreich habe kürzlich – auf Druck einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes – diese medizinische Methode zugelassen. „Das Embryonenschutzgesetz von 1990 wollte mit dem Verbot der Eizellenspende die gespaltene Mutterschaft verhindern und das Kindeswohl sichern. Die SPD hat damals übrigens für ein Verbot der Samenspende plädiert“, sagt Hilland weiter.

Neue Untersuchungen hätten ergeben, dass das Kindeswohl nicht dadurch beeinträchtigt sei, dass ein Kind von einer mit ihm nicht verwandten Frau ausgetragen werde. In einer Zeit, in der Patchwork-Familien und männliche Samenspenden weitgehend akzeptiert seien, hielten die Reproduktionsmediziner das Gesetz für veraltet.