Annegret L. ist 65 Jahre alt und mit Vierlingen schwanger und hat eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. In seiner Analyse wägt StZ-Autor Christoph Link Beweggründe ab, die für und gegen veränderte Normen für die Reproduktionsmedizin sprechen.

Stuttgart - Die Empörung ist groß und will nicht abebben: Eine 65-jährige Frau aus Berlin trägt Vierlinge aus. Sie hatte sich die befruchteten Eizellen im Ausland spenden und einsetzen lassen. Der Fall wirft ein grelles Schlaglicht auf die Reproduktionsmedizin: Sie kann eine Menge, aber darf sie auch alles, was sie kann? Die Behandlung, die die Berlinerin erfahren hat, wäre in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz verboten: Das Spenden weiblicher Eizellen ist bei uns untersagt.

 

Die Schärfe aber, mit der ein individuelles Verhalten in Deutschland an den Pranger gestellt wird, überrascht. Die Gesundheitspolitiker der großen Parteien sprechen einhellig von Grenzüberschreitungen und kritisieren den Fall als bedenklich. Ärzte, auch Reproduktionsmediziner, geißeln das Verhalten ihrer Kollegen im Ausland als verantwortungslos. Ein evangelischer Sozialethiker spricht gar von einem „Horrormärchen“ – eine verbale Entgleisung. Menschen sind keine Monster.

Vorschriften noch zeitgemäß?

Durch die moderne Reproduktionsmedizin wird nicht allen, aber vielen kinderlosen Paaren geholfen. Jedes Jahr kommen in Deutschland rund zehntausend im Reagenzglas oder durch Insemination gezeugte Kinder zur Welt. Aber dieser Medizinzweig könnte Schaden nehmen, zumindest an seinem Image verlieren, wenn die Debatte den Stammtischen überlassen wird.

Tatsache ist, dass eine Erörterungen der ethischen Aspekte dringend notwendig wäre. Ist das von 1991 stammende Embryonenschutzgesetz noch zeitgemäß? Wenn das Spenden des männlichen Samens nicht untersagt ist, warum ist die weibliche Eizellenspende in Deutschland dann verboten? Viele europäische Länder – darunter das eher konservativ geprägte Österreich – haben sie zugelassen und klar geregelt.

Andere Nationen reagieren

Andere Länder gehen inzwischen noch viel weiter. Großbritannien hat kürzlich sogenannte Drei-Eltern-Babys erlaubt: Bei Defekten am Erbgut der Mitochondrien, die Muskel- und Nervensystem sowie Herz und Hirn schädigen können, ist es erlaubt, den Embryo mit gesunden Mitochondrien auszustatten. Der Gendefekt darf mit fremdem Erbgut behoben werden. Ist das eine Art von Heilung und Vorbeugung vor schrecklichem Leid, oder sind die Mediziner hier auf dem Wege zum Designerbaby? Man muss dem britischen Beispiel nicht folgen. Man wird aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass andere zivilisierte Nationen ihre Rechtslage anpassen an das medizinische Machbare.

Der Deutsche Ethikrat hat sich vor einem Jahr auf einem Kongress intensiv mit der Reproduktionsmedizin befasst. Dabei traten Politiker auf, die alles beim Alten belassen wollten, und Reproduktionsmediziner, die viel verändern wollten. Als ein Konsens der Wissenschaftler hat sich herausgeschält, dass eine Novelle des Embryonenschutzgesetzes angebracht wäre, alternativ ein Fortpflanzungsmedizingesetz.

Kein Ethik-Dumping

Die Gesetze folgen dem rasanten medizinischen Fortschritt und dem Wandel bei den individuellen Lebensentwürfen nicht oder nur langsam. Der Begriff Familie beispielsweise ist längst nicht mehr fixiert auf die genetische Herkunft. Auch das Eizellenspendeverbot wirkt anachronistisch. Denn in der Reproduktionsmedizin entstehen heute schon „verwaiste Embryonen“, die getötet oder eben doch einer fremden Mutter gespendet werden dürfen. Das „Social Freezing“, das Einfrieren unbefruchteter Eizellen ohne medizinischen Grund, ist bei jungen Frauen nicht mehr selten, ohne dass es dafür rechtliche Vorgaben gäbe.

Es gibt kein Anrecht auf eine Vater- oder Mutterschaft, aber es gibt sehr wohl ein Recht, über die eigene Fortpflanzung zu bestimmen. Was das ist, wird seit 1978 ständig neu ausgehandelt. Damals kam Louise Brown zur Welt, das erste Retortenbaby. Man wird in Deutschland nicht die ethischen Standards anderer Länder übernehmen müssen, wir brauchen kein Ethik-Dumping. Aber man wird den wachsenden Wunsch von Frauen und Männern respektieren müssen, die Möglichkeiten moderner Medizin – auch der Reproduktionsmedizin – innerhalb der eigenen Landesgrenzen stärker nutzen zu dürfen.