Annegret R. hat Vierlinge zur Welt gebracht hat. Die 65-Jährige lebt ihren Traum ohne Rücksicht auf die Last, die sie anderen aufbürdet, kommentiert Katja Bauer.

Berlin - Annegret R. ist mit 65 Jahren die älteste Frau auf der Welt, die Vierlinge geboren hat. Medizinisch gesehen ist sie wohl eine Pionierin. Denn es ist ihr und vor allem einem Heer von Behandlern gelungen, die Grenzen der Fortpflanzung noch ein Stück weiter zu dehnen. Nüchtern betrachtet ist das einfach ein weiterer Schritt einer Entwicklung: Frauen, die Kinder bekommen, werden immer älter. Paaren, die sich Kinder wünschen, liefert die Medizin immer ausgefeiltere Möglichkeiten, sich zu vermehren. Kinder, die viel zu früh auf die Welt kommen, überleben eher. In vielen Fällen empfinden wir diesen Fortschritt als wünschenswert.

 

Warum regt uns der Fall dieser Frau trotzdem so auf? Weil R. keine Pionierin ist, sondern vor allem eine radikale Egoistin, die sich als 13-fache Mutter im Alter von 65 Jahren mit in Deutschland illegalen Methoden einen extremen persönlichen Lebenswunsch erfüllt – und dabei die Frage vernachlässigt, wem sie welche Last aufbürdet. Das gilt für die Neugeborenen, deren Risiko, die nächsten Wochen nicht zu überleben oder mit chronischen Leiden aufzuwachsen, extrem hoch ist.

Was werden die Geschwister später sagen?

Das gilt für die neunjährige Tochter, deren angeblicher Wunsch nach Geschwistern öffentlich als Begründung für die Schwangerschaft herhalten musste, und die mit Billigung der Mutter von einem Fernsehsender vorgeführt wird, weil es dafür Geld gibt. Das gilt für die zwölf erwachsenen Kinder, die sich mutmaßlich um die Geschwister werden kümmern müssen – denn selbst falls die alleinerziehende Mutter die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau erreicht und damit ihre Kleinsten volljährig werden sieht, so wird die Erziehung von zunächst fünf, später vier Kindern sehr wahrscheinlich eine zu hohe Belastung sein.

Falls die Frühgeborenen überleben, dann werden sie irgendwann die Frage nach ihren leiblichen Eltern stellen – auf deren Antwort sie hierzulande ein Recht hätten, weil der Gesetzgeber seit 2007 dem großen Leid Rechnung trägt, das Nachkommen anonymer Samenspender inzwischen artikulieren. Die Vierlinge, in der Ukraine durch Eizell- und Samenspende entstanden, sind dieser Information von allen Seiten beraubt.

Selbstoptimierung um jeden Preis

Aber welche Folgen hat nun dieser Fall? Annegret R. wird die Reproduktionsmedizin nicht revolutionieren. Die Sorge, ihr könnten tausende 65-jährige mit 13 Kindern folgen, die Vierlinge wollen, ist nicht begründet. Vielleicht kann er, jenseits aller Kritik, ein Anlass sein, auf die Grenze zu schauen, die Annegret R. überschreitet. Diese könnte näher liegen als gedacht, denn sie ist fließend.

Die Frau lebt letztlich brutal ein Konzept aus, das in seiner moderaten Ausprägung in dieser Gesellschaft äußerst positiv bewertet wird. Von ihm geht wachsender Druck auf das Individuum aus – sehr augenfällig, aber nicht allein beim Thema Kinderwunsch: die Nichtakzeptanz natürlicher, aber beeinflussbarer Grenzen, die Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung um fast jeden Preis, den Sieg über das Schicksalhafte, das Nichtmachbare.