Der Arzt der weltweit ältesten Mehrlingsmutter mahnt, künstliche Schwangerschaften mit mehreren Kindern zu vermeiden. Das medizinische Risiko sei hoch.

Stuttgart - Seine Patientin kritisieren, das will Wolfgang Henrich nicht. Aber der Direktor der größten deutschen Geburtsmedizin an der Berliner Charité richtete sich am Mittwoch mit einem eindringlichen Appell an die deutsche Öffentlichkeit. Er hoffe, dass der Fall der 65-jährigen Berlinerin, die vor einer Woche Vierlinge geboren hatte, die Reproduktionsmedizin aufrüttele, sagte Henrich vor Journalisten. Verantwortungsvolle Mediziner sollten solche Schwangerschaften vermeiden. Der Fall habe die Risiken einer Frühgeburt deutlich gemacht.

 

Die 65-jährige Lehrerin Annegret R. war am vergangenen Dienstag in der 25. Woche per Notkaiserschnitt von drei Jungen und einem Mädchen entbunden worden – 15 Wochen vor dem Geburtstermin. Die Frau hat bereits 13 Kinder, das jüngste ist neun Jahre alt. Sie gilt als älteste Vierlingsmutter weltweit. Die behandelnden Ärzte schilderten die Geburt als unter den Umständen komplikationslos. Die vier Kinder Neeta, Dries, Bence und Fjonn waren bei der Geburt zwischen 655 und 960 Gramm schwer und 30 bis 35 Zentimeter lang. Die Entbindung fand in einem auf 37 Grad erhitzten Operationssaal mit vier zehnköpfigen Teams statt. Die Kinder werden Tag und Nacht auf der Intensivstation betreut, liegen in Brutkästen, sind künstlich beatmet und werden sowohl über die Vene als auch über eine Nasensonde ernährt. Ein Kind musste bereits am Darm operiert werden. „Die Kinder benötigen viel Aufmerksamkeit und eine intensive Behandlung“, sagte Christoph Bührer, Neonatologie-Chef der Charité. Sie seien alle sehr zerbrechlich. Noch ist eine Prognose über deren Entwicklung nicht möglich. Das Risiko, dass die Kinder bleibende Organschäden haben und in der Entwicklung verzögert sind, ist sehr hoch.

Bei Mehrlingsschwangerschaften ist das Risiko viel höher

Henrich berichtete, die Mutter habe sich in der Klinik erstmals nach Ablauf des ersten Schwangerschaftsdrittels vorgestellt. Damals sei die Schwangerschaft regulär entwickelt gewesen. Bei Mehrlingsschwangerschaften ist das gesundheitliche Risiko für die Mutter und die Kinder deutlich höher. Je älter die Mutter und je größer die Zahl der Embyos, desto früher werden die Kinder statistisch geboren. Bei Annegret R. setzten die Wehen vorzeitig ein, die Geburt sei nicht mehr aufzuhalten gewesen, so Henrich. Die Mutter habe sich nach zwei Tagen auf der Intensivstation exzellent erholt.

Zur kontroversen Debatte um die späte Mehrlingsmutter wollten die behandelnden Ärzte nicht Stellung nehmen. Bührer erklärte, für ihn gehe es um das Wohl der Kinder. Der Geburtsmediziner Henrich sagte, er glaube nicht, dass die Frau eine Menge Nachahmerinnen in ihrem Alter finde. Es handele sich um einen Sonderfall. Allerdings häufen sich in der Charité die Fälle von Frauen, die sich im Ausland illegal Eizellen spenden lassen. Henrich kritisierte die dortigen Reproduktionsmediziner dafür, Mehrlingsschwangerschaften zu produzieren. Wichtiger als eine Diskussion über die Legalisierung von Eizellspenden sei für ihn etwas anderes: „Wir müssen aber eine gesellschaftliche Diskussion führen mit dem unbedingten Ziel, Frauen das Kinderkriegen in einer früheren Lebensphase zu erleichtern.“ Unklar ist noch, ob die Kasse der Frau die Behandlung für den medizinischen Einsatz bezahlt.