Elisabeth Schrodes Vater fiel im Zweiten Weltkrieg. Fast 70 Jahre später bekommt er seine letzte Ruhestätte.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Das kleine Foto von der Größe einer Visitenkarte zeigt einen deutschen Soldaten mit einem Baby auf dem Arm. Es ist das einzige Bild, das Elisabeth Schrode, geborene Wild, gemeinsam mit ihrem Vater zeigt. Die Vaihingerin wurde während des Zweiten Weltkriegs geboren. Ihr Papa bekam Heimaturlaub. In diesen wenigen Tagen entstand das kleine Foto. Gekannt hat Elisabeth Schrode ihren Vater nicht. Zu Weihnachten wünschte sie sich als kleines Mädchen einmal einen richtigen Papa aus Fleisch und Blut. „Meine Mutter zeigte auf das Foto über dem Esstisch und sagte: Da ist doch dein Papa!“, erinnert sich die Vaihingerin und muss doch ein wenig schlucken.

 

Elisabeth Schrodes Vater kam im Krieg ums Leben. 1945 galt er als vermisst. Einige Monate später hatte die Familie die traurige Gewissheit, dass er tot war. Sein Soldbuch war gefunden worden. Es hieß, er sei in den Kämpfen um Altfriedland in Märkisch-Oderland gefallen. „Mit dieser Auskunft haben wir all die Jahre gelebt“, sagt Schrode. Wie so viele Soldaten, bekam auch Josef Wild kein Grab, an dem die Mutter und die drei Kinder ihrem Vater gedenken konnten.

Post aus Berlin

Vor einiger Zeit bekamen die drei Geschwister Post aus Berlin, genauer gesagt von der „Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht.“ Diese übersandte den Hinterbliebenen den Ehering und die Erkennungsmarke. Letztere war nur noch teilweise erhalten. Beides sei anlässlich der Umbettung seiner sterblichen Überreste vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge sichergestellt worden, hieß es in dem Schreiben. „Der Brief hat mich geschwind sehr betroffen gemacht. Und ich habe auch geweint“, erinnert sich Schrode.

Zu ihrem 70. Geburtstag schenkte ihr Mann ihr eine Reise nach Brandenburg. Am 30. Juni, Josef Wilds Geburtstag, wollte das Ehepaar das Grab besuchen. Die Daten der genauen Grablage standen in dem Brief: auf dem Friedhof in Lietzen, Block 2, sollten die sterblichen Überreste liegen. Elisabeth Schrode und ihr Mann lasen auf dem Friedhof mehr als 350 Namensschilder. Aber das ihres Vaters war nicht dabei. „Die Enttäuschung war groß“, gibt Schrode zu.

Joachim Kozlowski war zufällig vor Ort

Das Ehepaar fuhr weiter. Unterwegs trafen sie auf einen Anwohner. Er stammte aus Breslau und hatte viel erlebt. Er wusste, dass in der Leichenhalle weitere Särge stehen und riet dem Ehepaar, zurückzufahren. Auf dem Friedhof trafen sie einen alten Mann, der lange Zeit für die Pflege des Friedhofs zuständig war. Er schickte das Ehepaar nach Seelow. Dort könne man ihnen sicher helfen.

Es war kurz vor 11 Uhr, als die Schrodes im Landratsamt auf eine Frau Schmid trafen. Sie hatte die Akte des Vaters schon bereit gelegt. Und sie stellte dem Ehepaar aus Vaihingen einen Mann von der Kriegsgräberfürsorge vor. Joachim Kozlowski war zufällig vor Ort. „Er schaute mich an und sagte: Ihr Vater liegt in Lietzen. Ich habe ihn ausgegraben. Ich erinnere mich genau, denn es ist nicht sehr häufig, dass man einen Ehering findet.“

ein Feld mit großen blauen Blumen

Zusammen mit dem Mann von der Kriegsgräberfürsorge fuhren sie zum dritten Mal an diesem Tag zum Friedhof. Joachim Kozlowski erklärte den Schrodes seine Arbeit: Im rechten Teil des Friedhofs seien schon viele Särge bestattet worden. Aber die Kennzeichnung der Gräber brauche Zeit.

Kozlowski nahm den Lageplan und ein Maßband und markierte mit zwei Stäben Josef Wilds Ruhestätte. „Gemeinsam sprachen wir ein Gebet“, erinnert sich Schrode.

Bei einem Bahndamm im Ort Gottesgabe waren Männer bei Bauarbeiten auf die Gebeine gestoßen. Kozlowski zeigte dem Ehepaar die genaue Fundstelle auf einem Plan. Die Schrodes fuhren zu einem Feld mit großen blauen Blumen. Dort, wo die Blumen fehlen, so hatte Kozlowski gesagt, dort lagen die Gebeine fast 70 Jahre lang.

Glückliche Fügung

Elisabeth Schrode hat ein paar von den blauen Blumen mitgenommen und gepresst. Aufgewühlt und doch glücklich über so viel Fügung sei sie zusammen mit ihrem Mann zurückgefahren. „Dass wir Herrn Kozlowski getroffen haben, war reiner Zufall“, sagt Schrode. Schon am nächsten Tag sei er nach Berlin gefahren.

Der Ring und die Erkennungsmarke liegen bei ihrem älteren Bruder in einer Vitrine. „Doch einmal habe ich mir den Ring angesteckt“, sagt Elisabeth Schrode und lächelt. Die Reise zum Grab ihres Vaters sei für sie wie ein Heimkommen gewesen.