Auf den Einstieg in die Diskussion, was für Stuttgart einmal wichtig sein wird, folgte prompt der Ausstieg. Doch das ist nicht das Ende der Debatte.

Stuttgart - Die Stadtverwaltung ist mit ihrer „Vision Stuttgart 2030“ im ersten Anlauf gescheitert. Darin sind sich die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und SÖS/Linke-plus einig, Union-Chef Alexander Kotz macht dafür OB Fritz Kuhn (Grüne) verantwortlich. Auf eine weitgehend misslungene Auftaktveranstaltung im Mai sei nach der Sommerpause eine unzureichend vorbereitete Debatte über die bis dahin erarbeiteten Ideen gefolgt.

 

Nach der Klausur im Hotel Rössle in Stimpfach-Rechenberg hatte OB Kuhn noch von „sehr konstruktiven Diskussionen“ gesprochen und angekündigt, es gehe nun um die „Weiterentwicklung von Themenfeldern“ und die Frage, wie die Debatte in die Stadtgesellschaft getragen werden könne. Nach dem zweiten Treffen äußerte sich die Stadt erst auf Nachfrage der StZ.

Zurück auf Los

Ein Fazit, wie man nun zu Zukunftsthemen wie Weltoffenheit, soziale Stadt, emissionsarme Mobilität, Wohnen oder Klimaschutz steht, gibt es nicht, denn der Gemeinderat geht zurück auf Los. Nach „ausführlicher Debatte“ sei in der Sitzung Einigkeit hergestellt worden, einen „strukturierten, mehrjährigen Prozess einer Vision 2030 für Stuttgart zu beginnen“, sagt Stadtsprecher Sven Matis. Dabei sollen dann auch Bürger mitreden dürfen. Die Vorbereitungen sollten bald beginnen und durch externe Fachleute unterstützt und begleitet werden. Einig sei man sich auch, im kommenden Jahr als Startschuss drei oder vier Generaldebatten im Gemeinderat „zu herausragenden Themen“ abzuhalten.

Kuhn empfiehlt, den Visionsprozess vom neuen Gemeinderat nach der Kommunalwahl 2019 auf den Weg bringen zu lassen. Bis dahin werde die Verwaltung ermitteln, welche Erfahrungen andere Städte gesammelt hätten. Mannheim habe Erfolg gehabt, der vom Regionalverband betriebene Aufwand habe sich nicht ausgezahlt.

Kotz gegen Kuhn

Im Kern handelt es sich um ein Kräftemessen zwischen Kotz als Chef der stärksten Ratsfraktion und OB Kuhn um die Deutungshoheit in der Frage, wo Stuttgart hin will. Kotz hatte anlässlich des Neujahrsempfangs der Partei 2015 angekündigt, federführend daran zu arbeiten, Visionen für die nächsten zehn Jahre zu entwickeln. Wie die Stadt einmal aussehen könnte, ließ Kotz offen, die Überschrift hatte er aber schon: „Die Zukunft der Stadt sind die Ideen der CDU.“ Kuhn konterte damals aus dem Stegreif mit Begriffen wie intelligente, vernetzte Mobilität, ökologisches Wirtschaften, Urbanisierung der Energieerzeugung und sozialer Gerechtigkeit. Kotz legte legte dann nach mit einem Antrag zur Zukunft der Mobilitäts-Infrastruktur.

Im Ältestenrat einigte man sich, gemeinsam in die Zukunft zu schauen und den OB mit einem Diskussionspapier zu beauftragen. Seine „Vision für Stuttgart“ sei stimmig und ihm leicht aus der Feder geflossen, sagt der Sprachwissenschaftler. Er sieht Stuttgart nachhaltig und zukunftsfest, wenn es wirtschaftlich stark sei, die Ökologie beachtet werde und es sich als soziale Stadt definiere. Kuhn formulierte 14 Grundsatzfragen – vom Bevölkerungswachstum über den Ausbau des Nahverkehrs bis zur nachhaltigen Finanzpolitik.

Stadt des Geistes und der Kultur

Das Papier sei zu detailliert für eine Zukunftsdebatte, so Kotz. Er hätte sich von Anfang an mehr „Flughöhe“ gewünscht, wollte Ziele wie eine „smarte und intelligente City- und Wirtschaftslogistik“ formulieren und über Stuttgart als „Stadt des Geistes und der Kultur“ philosophieren. Stattdessen gestand ihm der OB lediglich zu, die Reihenfolge neuer Kulturprojekte zu diskutieren. Deshalb sei Kuhn verantwortlich, dass die Kollegen die Arbeit als Zeitvergeudung empfanden. Wenigstens sei im Hotel Rössle „eine Übereinstimmung in den großen Linien“ zustande gekommen.

Überzeugt von Leerformeln wie „Stuttgart als Wohlfühlstadt“ oder „Schaufenster Mobilität“ war keine Fraktion, schon gar nicht die SPD. Die Aussicht, wieder im Neckar baden zu können und Stuttgart als Stadt „zwischen Wald und Reben“ zu bewerben, „war nur peinlich“, sagt der Vorsitzende Martin Körner. Deshalb hätten sich die Genossen auch geweigert, zur zweiten Sitzung Verbesserungsvorschläge zu liefern. Körner sagt: „Bis auf die Idee mit den Grundsatzdebatten im Gemeinderat war das kein Ruhmesblatt.“ Ihm sei bis zum Schluss „nicht klar gewesen, ob wir uns jetzt nur auf diverse Handlungsfelder verständigen oder in einen anspruchsvollen Visionsprozess einsteigen“. Selbst Kuhns Parteifreunde verweigerten eine Nachbereitung. SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch teilt die Kritik der CDU am bisherigen Visions-Prozess und unterstützt die Forderung nach einer Fortführung mit externer Hilfe ausdrücklich. Inhaltlich ist er aber näher bei Kuhn: Nur „wolkige Sprüche“ brächten die Stadt auch nicht weiter. Es gelte die Probleme zu definieren und dann an den Ursachen anzusetzen.

Kotz sagt, die CDU habe ernsthaft an der Verbesserung der Ideensammlung gearbeitet, Vorschläge von SÖS/Linke-plus und Freien Wählern eingearbeitet und mit dem Titel „Stuttgarter Geist 2030“ versehen. Die Ziele seien nun konkreter formuliert, darauf ließe sich aufbauen. Neu sind etwa die Forderung, die Digitalisierung zu forcieren, und die Aussicht auf gemeinsame Lösungen mit der Region. So schlägt der CDU-Fraktionsvorsitzende Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden der Nachbarkommunen vor, etwa um das regionale Wohnungsproblem auf der kommunalpolitischen Ebene zu lösen.