Das Café Galao ist die beste Stuttgarter Spielstätte für aufstrebende elektronisch angehauchte Popacts. Aber der Samstagabend hat gezeigt: ein Café Galao reicht nicht aus. Ein Doppel-Konzertbericht vom Marienplatz.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wo spielt in Stuttgart ein elektronisch angehauchter Pop-Act, bei dem es für die Schleyerhalle nicht reicht? Richtig: im Galao. Das Café am Marienplatz hat sich als Plattform und Durchlauferhitzer für diese Art von Musik bewährt. Plattform, weil hier nicht nur wegen der Deckenhöhe Synthesizer wesentlich besser hinpassen als Türme von Gitarrenverstärkern. Durchlauferhitzer, weil der Galao-Chef Reiner Bocka zufällig auch der Organisator des Marienplatzfestes ist. Junior haben vergangenes Jahr erlebt, was das bedeuten kann und kamen im Winter gleich für zwei Konzerte hintereinander ins Galao zurück

 

Solche Konzerte sind dann gerne überfüllt, und so ist es auch am Samstagabend bei A Forest aus Leipzig: analoges Schlagzeug trifft warme Synthesizer trifft raue Sängerstimme. Die Band hat 2014 auch beim Marienplatzfest gespielt. Entsprechend stellt sich die Lage um 20.30 Uhr wie folgt dar: voll, voller, Galao, und trotzdem bringt der Kellner das Getränk noch ans fellbedeckte Sofa. Dass das Publikum zum Konzert von A Forest dennoch das Reden vollständig einstellt, ist der erste angenehme Aspekt des Abends - man kennt das auch anders.

Mit ihrem Schweigen tun sich die Zuhörer allerdings selbst den größten Gefallen. Live genauso wie auf Platte reduzieren A Forest ihre Songs immer wieder auf das absolute Minimum, auf ein Skelett aus Text und Melodie, getragen höchstens von Ton-Tupfern. Das ist nicht nur mutig, weil die eigenen Songs so aufs Äußerste entblößt werden, es ist auch das Markenzeichen der Leipziger Musiker, auch in ihren diversen Nebenprojekten

Weiter in die Rakete

Eigentlich sind A Forest zu klein fürs Galao. An den kennerhaften Blicken erkennt man, dass die Band sich in Stuttgart eine solide Basis erspielt hat. Wir lassen A Forest also triumphieren und eilen die paar Meter in Richtung Bar Rakete. Warum? Weil da an dem Abend eine Band spielt, die ihrer EP nach zu urteilen genauso gut ins Galao gepasst hätte: Bergfilm. Weil deren Konzert in Stuttgart aber von Musiccircus veranstaltet wird - die sonst eher Schleyerhalle machen -, spielt das Kölner Quartett in der dem Theater Rampe angeschlossenen Bar Rakete, also der "kleinsten Location, in der wir in Stuttgart veranstalten können", wie ein Musiccircus-Mitarbeiter sagt. Ein Café Galao ist für Stuttgart halt manchmal zu wenig.

Zwischen A Forest im Galao und Bergfilm in der Rakete gibt es zwei verbindende Elemente: einmal, räumlich, den Marienplatz. Und dann noch Oracles & Narrators. So nennt sich ein Mannheimer DJ, der den Support für Bergfilm gibt und, jetzt kommt's, A Forest geremixt hat: 


In der Rakete gibt Oracles & Narrators sein Livedebüt. Das klingt gut durchdacht und die Buddel Wein, aus der der Musiker trinkt, könnte eine Art Markenzeichen werden. Faszinierend: als sein Konzert zu Ende geht, steht Oracles & Narrators schon im Publikum. Maschinen gut programmiert.

Dann treten Bergfilm ins Restlicht des Rakete-Konzertraums. Die vier Kölner sind als Vertreter eines "fast vergessenen Genres" angekündigt: Electropop. Wie der Pressetexter das meint, ist sein Geheimnis. Vielleicht spielt er darauf an, dass diese Musik ziemlich zeitlos ist: schön dahintreibender Pop, live auf elektronischen Instrumenten gespielt: nix mit Maschine. Damit gewinnst du keinen Innovationsaward, aber so in sich geschlossen wie Bergfilm muss man das trotzdem erstmal hinkriegen. Die Sounds und Patterns greifen gut ineinander und tatsächlich ist hier jeder Ton selbst gespielt. 

Sicher: Acts wie Bilderbuch fügen dieselben Ingredienzien zu einem ganz anderen, knallenderen Stop-and-Go-Popgewitter zusammen. Aber das ist auch Typsache, und als das Stuttgarter Publikum zu noch gar nicht so später Stunde auftaut, lässt sich das Potenzial dieser Band erahnen. Insofern ist es schade, dass an diesem Abend nicht Bergfilm im Galao spielen. Die wären da genauso gut angekommen und wären danach garantiert ein Kandidat fürs Marienplatzfest.