In Tom Fords delikatem Psychogramm will ein Mann nach dem Tod seines Partners sterben.

Stuttgart - Selten hat Sinnverlust so elegant ausgesehen. So delikat und stilsicher inszeniert der Modedesigner Tom Ford in seinem Spielfilmdebüt "A Single Man" die Suizidstimmung des Literaturprofessors George Harley, dass Depression fast schon erstrebenswert erscheint. Womit das Einfallstor für alle Kritik an Fords Verfilmung von Christopher Isherwoods Roman "Der Einzelgänger" aus dem Jahr 1964 schon geöffnet wäre.

"A Single Man" ist seiner berückend schönen Bilder wegen leicht als bloße Stilübung abzutun, als Sammlung von Werbeclipperspektiven auf edelste Herrenausstattung, als Designerkitsch für eine Generation, die sich gar nicht mehr vorstellen kann, welche Bedeutung Isherwoods Roman über das Unglück eines schwulen Mannes in einer Epoche gehabt hat, in der viele ansonsten gutbürgerliche Menschen das Schwulsein als eine Art Tollwut betrachteten. Solch eine Kritik muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, sie filtere Filme durch ein grobes Wahrnehmungsmuster, das Schönes stets als Geschöntes einordnet und als Ausweis der Differenziertheit grundsätzlich die aufgeraute Oberfläche verlangt.

Gespielt an einem einzigen Tag


"A Single Man" spielt an einem einzigen Tag des Jahres 1962. George Harley (Colin Firth in seiner bislang besten Rolle), ein Brite in Los Angeles, geht noch einmal zur Arbeit. Nur soll die Abfolge von Pflichten, Gewohnheiten, Kleinigkeiten diesmal anders enden als sonst. Harley will sich erschießen. Den Revolver hat er schon ausprobiert und frisch geladen. Wir sehen ihn anfangs, wie er sich als öffentliche Person zusammensetzt, wie er sich nach und nach mit frisch gereinigtem Hemd, akkurat gebundener Krawatte, solide breitbügeliger Brille zum Norman-Rockwell-Bild bürgerlicher Normerfüllung stylt. Aber innerlich ist dieser Mann völlig zerbrochen und im Hader mit seinem ganzen Dasein. Sein langjähriger Partner Jim (Matthew Goode) ist gestorben, und über diesen Verlust kommt Harley nicht hinweg.

Die böse Ironie, die Ford aber gar nicht eigens formulieren muss, die sich aus dem Zeitkolorit und unser Wissen ums Damals ergibt, liegt in der Erwartung der Gesellschaft der frühen Sechziger, dass dieser Literaturprofessor auch mit Jim an seiner Seite unglücklich, zerrissen und suizidal statt lebensfroh wäre. So durften auch Filme übrigens, um den Ansprüchen der Zensur zu genügen, vom Schwulsein einzig erzählen: als Weg in Unglück und Tod.

In "A Single Man" sind das nicht offen Ausformulierte, die jeweilige Gegenposition zum Gezeigten so wichtig wie das Erzählte. Gerade die Sorgfalt des Zeigens macht uns auf Nichtgezeigtes aufmerksam, weil sie einhergeht mit einer souveränen Leichtigkeit, weil Ford kein kompaktes, versiegeltes Bild vor uns hinstellt, in das wir kaum etwas hineindenken können.

Gedämpftes Hier und Jetzt


Harley existiert nicht in einer ätherischen Welt akademischer Feingeister und literaturinteressierter Studenten, in der allenfalls offene und latente Homophobie als Sprengstoff platziert sind. Er steckt wie alle Bürger mit Nachrichtenempfang mittendrin in Weltgeschichte, mitten in der Kubakrise. Die Supermächte USA und UdSSR stehen kurz vor dem atomaren Schlagabtausch. In kleinen Fetzen bekommen wir das mit, weil es Thema der Nachrichten ist und in Gesprächen auftaucht. Aber Harley lässt das nicht an sich heran, er hat damit nichts mehr zu tun. Ford kontrastiert Trauer und Politik nicht nur, um das Versunkensein seiner Hauptfigur in ihrer Depression herauszustellen. Er wirft auch die Frage auf, ob Harley sich denn mehr für die Weltlage interessieren würde, wäre Jim noch am Leben. Er weist auf eine zweifelhafte Isolationskomponente von Harleys geschmackssicherer kleiner Welt.

Die Kamera von Eduard Grau zeigt uns Harleys Hier und Jetzt sehr gedämpft, die Erinnerungen an Jim dagegen hell, farbstark und sichtlich verklärt. Das sollte man nicht als Übereinstimmung mit Harleys Haltung deuten, das dient eher der Sichtbarmachung eines psychologischen Vorgangs. Gerade Harleys Erinnerungsintensivität trägt dazu bei, dass er die Gegenwart als nicht mehr aushaltbar empfindet. Dabei wird sich an diesem letzten Tag einiges ereignen, was in die Zukunft weist. Harley führt Gespräche mit einem jungen Studenten und einer alten Freundin, was die Kamera mit mehr Licht, Farbe, Wärme kommentiert. Eine Zukunftschance scheint sich hier auszudrücken. Aber sieht Harley, was wir sehen? Die von der Kamera zelebrierte Harmonie der Dinge hat jedenfalls keinen Einfluss auf seine Desolation. Die Frage treibt den Film voran, ob irgendetwas in der äußeren Welt den inneren Mann noch erreichen und umstimmen kann.

Regie: Tom Ford. Darsteller: Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult. 101 Minuten. Ab 12 Jahren.


Hier läuft "A Single Man" in Stuttgart.


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EIN MODEMACHER VON WELT WIRD FILMREGISSEUR
Marke
Der 48-jährige Texaner Tom Ford ist einer der erfolgreichsten Modeschöpfer der Welt. Allein seine Ideen retteten in den neunziger Jahren die eigentlich tief abgewirtschaftete Modemarke Gucci vor dem Bankrott. Sein Ansatz, eher schlichte und elegante, also moderne Linien mit Elementen von Glamour und Glanz zu kombinieren, machte Gucci Schritt für Schritt zum Quasigeneralausstatter jeder Oscarverleihung. Seit 2003 kreiert Ford selbstständig unter eigenem Label vor allem Herrenmode und Sonnenbrillen.

Debüt
Fords Spielfilm „A Single Man“ wurde im vergangenen Herbst gleich mit einer Einladung zu den Filmfestspielen in Venedig geadelt. Zudem war der Hauptdarsteller Colin Firth für einen Oscar nominiert.