Immer wieder gibt es tödliche Unfälle, weil Müllautos beim Rückwärtsfahren Menschen erfassen. Die neuen Fahrzeuge im Kreis Ludwigsburg sind sicher – und überlisten sogar den Toten Winkel.

Ludwigsburg - Von Weitem sieht die Zukunft kaum anders aus als die Müllautos, die schon heute im Kreis Ludwigsburg unterwegs sind. Doch beim zweiten Blick fällt auf, dass die sechs neuen Laster, die das Entsorgungsunternehmen Suez seit wenigen Tagen auf die Straßen schickt, flacher sind. Der Eindruck täuscht nicht: Die neuen Mercedes-Trucks hätten einen sogenannten Low Entry, erklärt Michael Vincon von Suez – einen besonders tiefen Einstieg. Er soll bequemer sein für die Fahrer, vor allem aber soll er mehr Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer bieten. Denn der Fahrer sitzt nicht mehr einen Meter über der Straße, sondern auf Augenhöhe mit Fußgängern, Radfahrern und Autos. „Wir sind immer im gefährlichen Bereich unterwegs“, sagt Vincon. Deshalb habe man mit den neuen Fahrzeugen vor allem in die Sicherheitstechnik investiert.

 

Mit großem Aufwand stellten das Entsorgungsunternehmen, ihr Auftraggeber, die Abfallverwertungsgesellschaft des Kreises (AVL), und Daimler unlängst die neuen Autos im Ludwigsburger Schlosshof vor. Worauf die Beteiligten besonders stolz sind, ist die Ausstattung der Fahrzeuge. Denn sie soll im Ernstfall Leben retten.

Ein Assistent hält Abstand zum nächsten Auto

Der Fahrerplatz gleicht einem Flugzeugcockpit: Auf mehreren Monitoren kann der Müllwerker, wie die Männer in den orangenen Overalls korrekt heißen, sehen, was hinter, vor und seitlich von seinem Fahrzeug passiert. Es gibt einen automatischen Assistenten, der den Lastwagen bei zu geringem Abstand zum Vorausfahrenden abbremst, einen Spurassistenten, eine Kamera für den toten Winkel und Leuchten, die blinken, wenn sich jemand beim Abbiegen neben dem Laster befindet. Suez und die AVL sprechen von „den sichersten Lkw“ zur Entsorgung überhaupt. Rund 250 000 Euro kostet einer von davon.

Ohne Anlass ist diese Aufrüstung gleichwohl nicht: Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Müllfahrzeugen. Fünf hat die Polizei im Kreis 2016 und 2017 gezählt. Meist handelte es sich um kleinere Blechschäden, im April 2016 entstand allerdings in Tamm ein Schaden in Höhe von rund 130 000 Euro. Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr hatte eine rote Ampel überfahren. Dramatisch waren die Folgen eines Unfalls vor einem Jahr in Waldenbuch (Kreis Böblingen), wo der Lenker eines Müllautos beim Rückwärtsfahren einen 84-Jährigen erfasste und ihn tödlich verletzte.

Bundesweit 1800 Unfälle mit Müllautos

Auch für die Mitarbeiter der Müllabfuhr selbst wird das eigene Gefährt immer wieder zur Gefahr: Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) führt in ihrer Statistik für die Jahre 2012 bis 2016 bundesweit mehr als 1800 Arbeitsunfälle mit Müllautos auf. Sechs von ihnen endeten tödlich. Vor allem das Rangieren in engen Straßen und das Wenden in Sackgassen verursacht für die Müllabfuhr wie für Anwohner immer wieder Verdruss. Für die Müllwerker, weil sie manche Straßen nicht befahren können – und für die Anwohner, weil sie die Tonne dann bis zur nächsten Kreuzung ziehen müssen.

Nach dem tödlichen Unfall beauftragte der Kreis Böblingen einen Gutachter, mehr als 1800 Straßen auf ihr Gefahrenpotenzial hin zu untersuchen. Auf dieser Basis will das Landratsamt entscheiden, ob das gefährliche Rückwärtsfahren ganz vermieden werden kann. Derartiges empfiehlt eine Branchenregelung: Sie wurde im Oktober 2016 verschärft. Rückwärtsfahren ist demnach nur unter Auflagen erlaubt.

Die alten Autos sollen umgerüstet werden

Im Kreis Ludwigsburg seien die Mülltouren so organisiert, dass nicht rückwärts gefahren werden muss, erklärt die AVL. Ein generelles Verbot gebe es aber nicht. „Es es können sich immer wieder Situationen ergeben, bei denen ein Rückwärtsfahren notwendig ist“, heißt es. In diesen Fällen sei eine „Gefährdungsbeurteilung“ nötig. Es müsse also geschaut werden, wie breit die Straße ist, und ob die Sicht des Fahrers eingeschränkt ist.

Bei Suez will man einen Rückfahrassistenten, der zur Not ebenfalls das Fahrzeug bremsen könnte, nachrüsten. Die sechs neuen Autos im Kreis seien dafür vorbereitet. Bis das System flächendeckend kommt, dauert es aber noch: Die gesamte Flotte in der Region hat 65 Fahrzeuge.