Der Bundestag arbeitet an einer Gesetzesnovelle, die das Sammelsystem für Wertstoffe gefährden könnte. Womöglich wird es gegen den gelben Sack ersetzt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Müll ist Bares wert, jedenfalls der Teil des Mülls, den die Bewohner des Landkreises Böblingen gewissenhaft zu sortieren und auf die verschiedenen Tonnen der Wertstoffhöfe zu verteilen haben. Rund drei Millionen Euro nimmt der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises alljährlich mit den sogenannten Wertstoffen ein, dem Verpackungsmüll. Andernorts stellen die Bürger den ertragreichen Anteil ihres Mülls einfach im gelben Sack an den Straßenrand. Entsprechend umstritten ist das hiesige System, um das schon vor Gericht prozessiert wurde und um das sich ein neuerlicher Streit anbahnt, der allerdings auch andere Teile der Bundesrepublik betrifft.

 

Die Bundesregierung arbeitet an einer Novelle des Anfang der Neunziger erdachten Gesetzes zur Wiederverwertung von Müll, Wertstoffgesetz genannt. „Momentan ist eine komplette Umstellung auf das duale System vorgesehen, dann fehlen uns die Erlöse“, sagt Wolfgang Bagin, der oberste Abfallwirtschafter im Kreis. „Wir werden sehen, es wird sich zeigen, in welche Richtung sich das Gesetz bewegt“.

Der Bundesrat steht auf der Seite des Landkreises

Zuletzt hatte der Bundesrat sich auf die Seite derjenigen Kommunen und Kreise geschlagen, die sich gegen die Komplettumstellung wehren. Mehrere Bundesländer, unter anderem Baden-Württemberg, hatten sich mit der Forderung durchgesetzt, die Bundesregierung möge einen Kompromiss zwischen den Interessen der Kommunen und dem Dualen System erdenken. Zumindest der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller möchte gleichzeitig auch anderen Müll zur Wiederverwertung einsammeln als Verpackungen.

Ein weiterer Verbündeter im Sinne des Landkreises ist der Verband kommunaler Unternehmen, in dem mehr als 1400 kommunale Eigenbetriebe zusammengeschlossen sind. Die Interessengemeinschaft wehrt sich nach Kräften gegen die geplante Gesetzesänderung. Ein vierseitiges Argumentations-Papier hatte Bagin während der jüngsten Sitzung an die Kreisräte des Umweltausschusses zur Lektüre verteilt.

„Das Wertstoffgesetz im Faktencheck“ ist es überschrieben, und seine Zielrichtung offenbart sich bereits im Vorspann: „Die Dualen Systeme werden von interessierten Kreisen gern als bewährte Akteure der Verpackungsentsorgung stilisiert.“ Der Text versucht, zehn Argumente jener ungenannten interessierten Kreise zu entkräften, mit dem Fazit, dass Kommunen bessere Wertstoffsammler sind als Privatunternehmen. Das bundesweit bekannteste und älteste von ihnen ist die Firmengruppe unter dem Dach der Dualen System Holding.

Laut Verband kann eine hohe Millionensumme gespart werden

Als bürgernahstes Argument für eine Abschaffung des Dualen Systems rechnet der Verband vor, dass die Kommunen die Dienstleistung billiger erbringen könnten. Eine Einsparung in Höhe einer dreistellige Millionensumme sei möglich. Tatsächlich ist das neue Gesetz auch innerhalb der Regierungskoalition umstritten.

Rund drei Millionen Tonnen Verpackungsmüll werden jährlich in ganz Deutschland eingesammelt. Knapp 130 davon entfielen 2015 auf den Kreis Böblingen. Mindestens 6000 Bewohner des Landkreises würde freuen, wenn dieser Anteil künftig von der Privatwirtschaft eingesammelt würden. So viele hatten eine Petition für die Einführung des gelben Sacks unterschrieben, weil sie sich den regelmäßigen Weg zum Wertstoffhof ersparen wollen. Im Ursinn des Gesetzes scheinen Verbesserungen durchaus angebracht: Ziel war, den Verpackungsmüll zu vermindern und die Wiederverwertung zu befördern. Stattdessen hat der Müllanfall sich seit der Einführung mehr als verdoppelt, und „verwertet werden nur 20 bis 30 Prozent, der Rest wird verbrannt“, sagt Bagin. „Eigentlich hat das Gesetz nichts gebracht.“ Zumindest bei der Wiederverwertung bringt der Böblinger Sonderweg allerdings auch keinen Vorteil, denn der Landkreis verkauft seine Wertstoffe eben an das duale System.