Amerika entwickelt sich für VW immer mehr zu einem Alptraum. Der Abgang von US-Chef Michael Horn hat bei den Händlern eingeschlagen wie eine Bombe.

Stuttgart - Vor einer Woche demonstrierte Matthias Müller noch Zuversicht, dass der Wolfsburger Autokonzern seine Probleme in Amerika in den Griff bekommen wird. Er habe im Januar nach der Autoshow in Detroit „richtig gute Gespräche in Washington gehabt“, sagte der VW-Chef in kleiner Runde auf dem Genfer Autosalon und widersprach damit US-Medienberichten, wonach Gina McCarthy, die Chefin der US-Umweltbehörde EPA ihn kalt abblitzen ließ. „Kein Durchbruch im Streit zwischen EPA und Volkswagen“, titelte das „Wall Street Journal“ nach der Stippvisite Müllers in der US-Hauptstadt enttäuscht. Es sei gelungen, wichtige Weichen für die nächsten Verhandlungen mit den US-Behörden zu stellen, versicherte dagegen der optimistische Konzernchef in Genf – ohne indes zur Erhärtung dieser Behauptung Details zu nennen, wie die Wolfsburger den durch betrügerische Software zur Steuerung der Stickoxidemissionen von Dieselmotoren entstandenen Schaden beheben will. Es sei ein komplexes Thema, fügte Müller hinzu und räumte ein, dass die Krisenbewältigung bisher nicht optimal gelaufen sei. Vielmehr habe man in den vergangenen Monaten immer wieder „zwei Schritte vor und einen zurück“ gemacht.

 

In dieser Woche hat VW nun einen großen Schritt zurück machen müssen – man kann auch von einem veritablen Rückschlag sprechen. Denn am späten Mittwochabend teilte der Autobauer, wie einem Teil unserer Auflage bereits berichtet, mit, dass Michael Horn, der US-Chef von VW, mit sofortiger Wirkung das Unternehmen verlässt. Horn hat in den vergangenen Monaten in Amerika den Watschenmann spielen müssen.

Horn war der Watschenmann in Amerika

Weil Konzernchef Müller nach dem Aufdeckung des Abgas-Skandals durch die US-Umweltbehörde EPA im September sich Zeit ließ und erst im Januar zur Automesse in Detroit wieder amerikanischen Boden betrat, musste Horn Ende September bei der Präsentation des Passat in New York den reuigen Sünder geben. „Wir waren unehrlich. Wir haben Mist gebaut“, bekannte der 54-Jährige, der zwar bereits seit zwei Jahrzehnten bei VW war, seinen Job in Amerika allerdings erst im Januar 2014 angetreten hatte – fast zehn Jahre, nachdem die Weichen für die Manipulation von Software zur Einhaltung der scharfen Emissionsgrenzwerte gestellt worden waren. Auch danach musste Horn immer wieder seinen Kopf hinhalten, wie etwa bei einem scharfen Verhör im Oktober im US-Kongress, wo ein Abgeordneter giftete: „Was werden sie im Knast lesen?“

Um jeglichen Eindruck zu verhindern, dass Horn nun unfreiwillig abtritt, lobte VW-Markenchef Herbert Diess den bisherigen US-Chef in höchsten Tönen. Horns Leistungen für die Marke und die Händler seien großartig, ließ sich Diess in der Mitteilung zitieren. In seiner Zeit als US-Chef habe er eine starke Partnerschaft zu den Händlern aufgebaut und seine Führungsaufgaben in schwierigen Zeiten vorbildlich wahrgenommen. Bei den US-Händlern schlug die Nachricht vom Abgang Horns ein wie eine Bombe. Seit einem halben Jahr müssen sie bereits Kunden vertrösten, weil sie nicht wissen, wie der Rückruf laufen wird, wie die Wagen repariert werden oder wie viele Autos von VW zurückgekauft werden müssen. Zudem ist der Absatz eingebrochen. Schon vor dem Abgas-Skandal war der US-Markt eine der größten Problemzonen des Wolfsburger Konzerns. Im vergangenen Jahr waren die Verkäufe bereits um fünf Prozent zurückgegangen, in diesem Januar nun sogar um 15 Prozent.

Händler drohen VW mit Klage

„Wir sind beunruhigt angesichts des Missmanagements des Skandals und den Folgen, die dies für die Entscheidungen der US-Behörden haben könnte“, teilte die Händlervereinigung am Donnerstag mit. Der Wechsel an der Spitze der US-Tochter, so die Händler, könne das Unternehmen noch tiefer in die Bredouille bringen. Im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ erhöhte der Vorsitzende des Händlerverbands, Alan Brown, den Druck auf Volkswagen noch. Brown verlangte, dass der Autobauer alle Zusagen bestätige, die Horn den Händlern gemacht habe. Andernfalls könnten sie den Konzern auf Schadenersatz verklagen. „Dann herrscht Chaos“, so der Verbandschef.

Wie kalt der Konzern vom Abgang des US-Chefs erwischt wurde und wie knapp die Personaldecke im Management ist, zeigt sich daran, dass das Wolfsburger Unternehmen noch keinen richtigen Nachfolger präsentieren konnte. Hinrich Woebcken, der seinen Job als Nordamerika-Chef erst Anfang April antritt, soll die Aufgaben von Horn zunächst einmal zusätzlich übernehmen. Woebcken, der für sämtliche Aktivitäten des Autokonzerns in den USA sowie in Kanada und Mexiko zuständig ist, wurde erst nach einer längeren Hängepartie zum Nordamerika-Chef gekürt. Eigentlich ist er nur zweite Wahl, denn ursprünglich sollte der Skoda-Chef Winfried Vahland bereits Anfang November diese neu geschaffene Position übernehmen. Kurz davor überlegte er es sich jedoch anders und verließ das Unternehmen. Vahland hatte einen exzellenten Ruf im Konzern. Der große Erfolg bei Skoda hatte dazu geführt, dass er in der Gerüchteküche zeitweise sogar als Kandidat für die Nachfolge von Martin Winterkorn als Konzernchef genannt wurde.

Vahlands abrupter Abgang hing dem Vernehmen nach damit zusammen, dass es unterschiedliche Auffassungen über die Arbeitsteilung zwischen den Nordamerika- und dem US-Chef gegeben habe. Zudem soll es Spannungen mit dem VW-Markenchef Herbert Diess gegeben haben, dem Vahland unterstellt gewesen wäre. Woebcken ist bisher nicht gerade als großer Amerika-Kenner und Krisenmanager aufgefallen. Der 55-jährige Diplom-Wirtschaftsingenieur begann seine berufliche Laufbahn 1985 beim Maschinenbauer Krauss-Maffai, war von 1998 bis 2004 Vertriebschef beim schwäbischen Lackieranlagenbauer Dürr, ging dann in den Einkauf von BMW und 2014 als Chef der Nutzfahrzeugsparte zum Autozulieferer Knorr-Bremse, wo er Mitte 2015 bereits wieder ausschied.