In Kalifornien sucht der Autobauer eine Einigung mit den US-Behörden im Abgas-Skandal. In Braunschweig ermittelt die Staatsanwaltschaft und kämpft das Landgericht mit zahlreichen Klagen.

Stuttgart - Der Fall VW steht ganz oben auf der Tagesordnung. Um acht Uhr morgens kalifornischer Zeit beginnt an diesem Donnerstag in San Francisco beim Bezirksgericht für Nordkalifornien die nächste Anhörung zu den manipulierten Abgaswerten. „Die Anhörung ist von sehr großer Bedeutung für VW. Es geht schließlich um massive Forderungen des US-Staats. Und die Frist ist schon einmal verlängert worden“, sagt der Stuttgarter Anwalt Jens-Hendrik Janzen, der Partner bei der Wirtschaftskanzlei Heuking ist. Der Autobauer ist seit Monaten in Gesprächen mit der US-Umweltbehörde Epa und dem US-Justizministerium über einen Rückruf oder einen Rückkauf der mehr als eine halbe Million Wagen, bei deren Dieselmotoren die Software zur Steuerung des Stickoxid-Ausstoßes manipuliert wurde, wie VW zugegeben hat. Das US-Justizministerium hat den Wolfsburger Konzern deshalb im Januar verklagt. Aus der Klageschrift wurden Forderungen von 45 bis 48 Milliarden Dollar abgeleitet. US-Juristen rechnen indes mit deutlich niedrigeren Zahlungen. Zudem laufen neben dieser zivilrechtlichen Auseinandersetzung auch strafrechtliche Ermittlungen des Justizministeriums, deren Ausgang offen ist.

 

Richter Charles Breyer vom Bezirksgericht in San Francisco hatte den Wolfsburgern zuletzt im März ein Ultimatum gesetzt. Bis zum 21. April sollte eine Lösung vorliegen. In Konzernkreisen hieß es in den vergangenen Tagen, dass mit Hochdruck bis zur letzten Sekunde verhandelt werden sollte, damit zumindest Eckpunkte für eine Einigung vereinbart werden könnten. Richter Breyer hat bereits angedroht, dass es andernfalls im Sommer zu einem Prozess kommen könnte. Der Rechtsstreit mit der Umweltbehörde EPA ist derzeit die größte, jedoch bei weitem nicht die einzige juristische Baustelle des Autokonzerns.

Eine Einigung mit den US-Behörden ist Voraussetzung dafür, dass VW eine Beilegung des Rechtsstreits mit verärgerten Auto- und Wertpapierkäufern in Amerika anstreben kann. Mehr als 500 Sammelklagen sind bereits in San Francisco eingegangen, wo sämtliche US-Fälle gebündelt werden. Zur Beschleunigung dieser juristischen Auseinandersetzung haben sich die Wolfsburger bereits prominenten Beistand geholt. VW hat den US-Staranwalt Kenneth Feinberg mit der Betreuung eines Entschädigungsfonds für Besitzer der betroffenen Dieselautos beauftragt. Der Fonds bietet eine außergerichtliche Einigung an, wodurch voraussichtlich viele gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden können.

In Deutschland haben die Abgas-Manipulationen bei VW im vergangenen Herbst Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgelöst. Im Oktober gab es eine Razzia, bei der die Konzernzentrale in Wolfsburg sowie Wohnungen von VW-Mitarbeitern durchsucht wurden, die in den Fall verwickelt sein sollen. Später wurden die Ermittlungen auf möglicherweise frisierte CO2-Angaben ausgedehnt. Es geht unter anderem um den Verdacht auf Betrug und Steuerhinterziehung. Zwar hat VW sich zwischenzeitlich korrigiert: der anfängliche Verdacht auf manipulierte CO2-Werte habe sich nach einer Überprüfung größtenteils nicht bestätigt. „Doch das entbindet uns nicht von weiterer Prüfung“, stellt der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe klar. Die Ermittlungen zu den Stickoxidwerten sind nach Angaben des Oberstaatsanwalts allerdings deutlich umfangreicher als die Ermittlungen zu den CO2-Werten. „Ich gehe nicht davon aus, dass das Stickoxid-Verfahren in diesem Jahr abgeschlossen werden kann“, sagt Ziehe und erläutert die großen Herausforderungen vor denen eine relativ kleine Mannschaft steht. Es handle sich um sehr große Datenmengen. Zudem erstrecke sich der mögliche Tatzeitraum über wenigstens zehn Jahre. „Das kann man mit normalen Ermittlungen nicht vergleichen. Das ist schon ein ziemlich dickes Brett, das wir hier bohren“, gibt der Oberstaatsanwalt zu bedenken. Die Zahl der Beschuldigten ist im Laufe der Ermittlungen laut Ziehe beim Thema Stickoxid von sechs auf 17 gestiegen, beim CO2 seien es weiterhin sechs Beschuldigte. Derzeit befinde sich kein jetziges oder ehemaliges Mitglied des Vorstands unter den Beschuldigten.

Auch dem Braunschweiger Landgericht hat der Abgas-Skandal bereits viel Arbeit gebracht. Bisher seien 97 Schadenersatzklagen von Anlegern gegen VW eingegangen, berichtet Jan-Michael Seidel, der Vizepräsident des Landgerichts. Die Kläger machen überwiegend Kursverluste zwischen rund 600 Euro und zwei Millionen Euro geltend. Die Kanzlei Tilp aus Kirchentellinsfurt hat bisher drei Klagen in Braunschweig eingereicht, zwei von Kleinanlegern und eine von 278 institutionellen Anlegern, die einen Schadenersatz von 3,25 Milliarden fordern. Die Kanzlei habe weitere Mandate von rund 1000 Kleinanlegern, für mehrere Hundert davon haben Rechtsschutzversicherungen schon Deckungszusagen abgegeben, berichtet Andreas Tilp. Weit über ein Dutzend weitere institutionelle Anleger wollten zusätzlich klagen. Das Volumen werde die 3,25 Milliarden der ersten großen Klage voraussichtlich übersteigen, so der Anwalt, weil nicht nur der Schaden bei Aktien, sondern auch bei Anleihen geltend gemacht werde. Tilp strebt wie etliche andere Kanzleien ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz an. Dafür wird aus einer Vielzahl gleich gelagerter Klagen ein Fall als Exempel herausgegriffen. Vor dem Oberlandesgericht werden dann zentrale Fragen vorab verbindlich entschieden. Dies entlastet die Justiz. Andreas Tilp zeigt sich zuversichtlich, dass seine Kanzlei ausgewählt wird, dieses Musterverfahren zu führen. „Bei der Auswahl des Musterklägers wird unter anderem die Höhe des Streitwerts geprüft. Es gibt bisher keine Klage mit einem höheren Streitwert. Zudem hat keine andere Kanzlei mehr Musterverfahren geführt“, sagt Tilp. Allerdings müssten sich Anleger auf eine längere Auseinandersetzung einrichten, meint der Stuttgarter Anwalt Jens-Hendrik Janzen mit dem Hinweis auf frühere Musterverfahren etwa bei der Skandalbank Hypo Real Estate. „Das wird uns juristisch die nächsten zehn Jahre beschäftigen“, sagt Janzen voraus.

Skeptisch beurteilt der Stuttgarter Jurist einen anderen Weg, den etwa die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) Anlegern empfiehlt, die sich geschädigt sehen. Die Aktionärsschützer unterstützen eine niederländische Stiftung, die mit VW über einen Vergleich verhandeln will, der dann von einem Berufungsgericht in Amsterdam europaweit für verbindlich erklärt werden soll. „Die Durchsetzung von Ansprüchen über eine niederländische Stiftung könnte nur gelingen, wenn VW sich auf ein solches Verfahren einlassen und einen Vergleich anstreben würde“, gibt Janzen zu bedenken. Auch in diesem Fall wäre nach Einschätzung des Juristen der Schadenersatz erfahrungsgemäß niedriger als bei einer Klage in Deutschland.