Wer hätte gedacht, dass ein Mittel gegen Luftverschmutzung ausgerechnet aus dem Boden kommt? Ein Bauunternehmer hat tiefes Vertrauen in seinen Spezialbeton, den er jetzt erstmals am Busbahnhof Degerloch verbaut.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Degerloch - Feinstaubhauptstadt gehört zu den Prädikaten, die Stuttgart nicht gerade schmeicheln. Doch während manche beim Thema Luftverschmutzung einfach resignieren, gibt es immer noch Tüftler und Macher, die Stickoxiden und Co. den Kampf ansagen. Einer von ihnen ist Konrad Jörger. Der 72-jährige Bauunternehmer will es auf seine alten Tage hin offenbar noch mal wissen und hat an der Baustelle am Busbahnhof in Degerloch ein Projekt gestartet, das seiner Meinung nach Schule in ganz Stuttgart machen könnte. „Mein Beton bekämpft Luftverschmutzung“, sagt Jörger.

 

Dieser Spezialbeton, der auf die Bezeichnung Tiocem hört, ist mit besonderem Zement zur Reduktion von Luftschadstoffen versehen. Entwickelt wurde er von der Firma Heidelberg Cement Stuttgart mit Sitz in Remseck. Der Erfinder der Technologie ist allerdings ein italienischer Wissenschaftler – Luigi Cassar war der Erste, der den Spezialbeton in 20 Meter hohen Segelskulpturen mitten im Vatikan verbaute.

Gute Ergebnisse im Labor

Das Prinzip, das in Degerloch am Donnerstag angewandt wurde, ist das gleiche: „Der Zement enthält Titandioxid. Wenn das mit Licht in Berührung kommt, ist es in der Lage, Stickstoffoxide in ungiftiges Nitrat umzuwandeln“, sagt Dietmar Boger von Heidelberg Cement Stuttgart. Titanoxid fungiere hier als Photokatalysator.

Im Labor seien damit Ergebnisse erzielt worden, bei denen bis zu 80 der Giftstoffe in der Luft unschädlich gemacht wurden. Ein Feldversuch an der Hohenheimer Straße brachte bei strahlendem Sonnenschein immerhin noch bis zu 40 Prozent Schadstoffreduktion – im Mittel übers Jahr, rechnete die Firma aus, können so am Busbahnhof immerhin sechs Prozent des Stickstoffdioxids neutralisiert werden.

Ganz neu ist der Einsatz von Titandioxid gegen Stickstoffoxide in Stuttgart aber nicht. Auch bei der Sanierung des Kronprinzplatzes in der Innenstadt kam die Technologie bereits im April dieses Jahres zum Einsatz. Allerdings nicht als Flüssigbeton, sondern mit fertigen Betonplatten.

Auch in Degerloch wird das Umweltamt der Stadt Stuttgart überprüfen, ob die Rechnung so aufgeht. Doch selbst wenn es zu ähnlichen Ergebnissen kommt: Der wundersame Beton bekämpft mit dem Stickstoffdioxid nur eines der Probleme, die durch Abgase entstehen – der Feinstaub ist davon nämlich nicht betroffen.

EU-Richtlinien könnten eingehalten werden

„Klar, mit unserer Technologie lösen wir das Problem mit Abgasen zwar nicht“, sagt Bauunternehmer Jörger, „aber zumindest könnte man so einige EU-Richtlinien einhalten und an einigen problematischen Stellen innerhalb erlaubter Werte bleiben“. Die prominenteste dieser Problemstellen dürfte die Gegend um das Neckartor sein. Am liebsten würde Jörger seinen Zement direkt dorthin kippen. „Aber jetzt war eben hier eine Straßensanierung nötig, und wir präsentieren hier, was wir können“, sagt er.

120 Quadratmeter wurden bis zum Abend mit einer nur fünf Zentimenter dicken Schicht des Spezialbetons versehen. Denn das Material ist gut sechsmal so teuer wie Standardbeton, erklärt Jörger – also müsse sehr sparsam damit umgegangen werden.

Technologie nicht ganz neu in Stuttgart

Nur 72 Stunden später soll die Busbucht wieder befahrbar sein, der Beton hart. Insofern wird der Verkehr um den Degerlocher Stadtkern nach dem Wochenende wieder ungehindert fließen können.