In der VW-Affäre wirft die Industriekommissarin Deutschland Versäumnisse vor. Berlin ist sich hingegen keiner Schuld bewusst.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Schon Mitte September hatte EU-Wettbewerbskommissarin Elzbieta Bienkowska in der Diesel-Affäre gedroht. Im Untersuchungsausschuss des Europaparlaments – das Gremium soll die Mit-Verantwortung von ehemaligen Industriekommissaren aufklären – hatte die Polin auf Nachfragen von Abgeordneten gesagt: „Sie werden in den nächsten Wochen sicherlich Vertragsverletzungsverfahren in der Sache erleben.“ Ihre Experten würden sich die Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedsstaaten intensiv anschauen. Nun verdichten sich die Hinweise, dass nächste Schritte bevorstehen.

 

Hintergrund ist: Schon 2007 hatte die EU eine Verordnung erlassen, die den Einsatz von jener Schummelsoftware in Motoren verbietet, um die es in dem Dieselskandal geht. Allen 28 Mitgliedsstaaten hatte Brüssel damals aufgegeben, bis 2009 auch ein Strafsystem einzuführen. Für den Fall, dass Hersteller sich nicht an die Vorgaben aus Brüssel halten, sollten Sanktionen vorgesehen und verhängt werden. Nicht nur Deutschland, auch etliche andere Mitgliedsländer haben aber bis zum heutigen Tage, das Sanktionssystem nicht etabliert. Wie in Brüssel zu hören ist, sind bei diesem Thema die Planungen für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Mitgliedsländer am weitesten fortgeschritten. Hier ist wahrscheinlich, dass Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) demnächst wieder einmal Post aus Brüssel bekommt. Aus formalen Gründen ist mit der erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens aber frühestens Ende November zu rechnen. Im Oktober stehen Vertragsverletzungsverfahren nämlich nicht mehr auf der Agenda der Sitzungen der Kommission.

Die Ländern sollte ermitteln, welche Hersteller die verbotene Technologie eingesetzt haben

Unmut über das Verhalten der nationalen Regierungen in der Diesel-Affäre gibt es in Brüssel noch in einem zweiten Punkt. So hatte die Kommission die Länder aufgefordert, zu ermitteln, welche Hersteller in welchen Fahrzeugen die verbotene Technologie eingesetzt haben. Die Rückläufe dazu sind unbefriedigend. Nur Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien haben geantwortet. Berlin hat also zwar geliefert. Bei näherem Hinsehen war die Kommission aber über die Antwort aus dem Hause Dobrindt befremdet. Dort ist zu lesen, dass nur VW Verfehlungen in der Sache begangen habe. Vorrichtungen zum Abschalten der Abgasaufbereitung waren aber auch bei anderen Marken gang und gäbe. Diese Praktiken sollen von Dobrindts Beamten damit erklärt worden sein, dass sie dem Motorenschutz dienten, also letztlich nicht zu beanstanden seien. Darüber ist, wie in Brüssel zu hören ist, die Industriekommissarin verärgert. Sie verlangt von Berlin mehr Informationen zu den technischen Zusammenhängen.

Berlin ist sich keiner Schuld bewusst. Das Bundesverkehrsministerium hat gesagt, dass die entsprechenden EU-Vorschriften ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden seien. Am Rand der Verkehrsminister-Konferenz in Stuttgart nahm Dobrindt noch einmal Stellung. Der Minister argumentiert, dass die Verordnung missverständlich formuliert sei und Interpretationsspielraum biete. Er sagte: „Ich wäre dankbar, wenn die Kommission sich bereit erklärt, endlich die einschlägigen Bestimmungen zu verändern.“