Eine exotische Kulisse, vor der es am Ende doch wieder nur um Macht, Geld und Sex geht: Aber Mukherjees „Ein angesehener Mann“ zeichnet ein faszinierendes Porträt Kalkuttas nach dem Ersten Weltkrieg.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Kalkutta - Die Leiche eines hochrangigen britischen Verwaltungsangestellten liegt nicht da, wo sie hingehört, nämlich im Hinterhof eines Edelbordells in einem der dunkleren Bezirke im bengalischen Kalkutta. Dass dem Mann offensichtlich die Kehle durchgeschnitten worden ist, macht die Sache nicht weniger delikat, und Sam Wyndham, der erst seit Kurzem von Londoner Scotland Yard zur Imperial Police Force auf den Subkontinent gewechselt ist, hat seinen ersten Fall.

 

Der Tod des Verwaltungsbeamten ist mysteriös: Der Tatort liegt in Black Town, wo nur Inder leben und ein „Weißer“ nichts zu suchen hat. Außerdem handelt es sich um einen engen politischen Berater des Lieutenant Governors, dem mächtigsten Mannes in ganz Bengalen. Sam Wyndham sucht mit seinem Assistenten, dem Inder Surrender-Not Banerjee, und seinem Kollegen Sergeant Digby in der subtropenfeuchten und mörderisch heißen Stadt nach Hinweisen.

Hat der Mord politische Hintergründe? Geht es um ein Verbrechen um Leidenschaft oder schlicht um Geld und Macht? Während Wyndham ermittelt, kämpft er mit seinen eigenen Dämonen: Er hat in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs gedient und ist auch ein Jahr nach Kriegsende tief traumatisiert – Whisky und Opium helfen ihm durch die trostlosen Nächte.

Abir Mukherjee ist mit „Ein angesehener Mann“ ein unterhaltsamer und spannender Krimi gelungen, der zwar vor einer exotischen Kulisse spielt und der die gesellschaftlichen Verwerfungen innerhalb der britisch-indischen Kolonie und die politischen Wirren im Zuge der indischen Unabhängigkeitsbewegung im Jahr 1919 thematisiert, in dem es aber am Ende doch vor allem um Macht, Geld und ein bisschen Sex geht.

Mukherjees Stil ist angenehm nüchtern und von echt britischem Humor, etwa wenn er die Methoden des britischen Geheimdienstes als „häufig abstoßend, unmoralisch und im schlimmsten Fall unbritisch“ nennt. Die Geplänkel zwischen Wyndham und seinem indischen Assistenten sowie eine Liebelei mit einer Halbinderin sind ebenso amüsant wie herzerwärmend, auch wenn dies alles den Hauch der Ausweglosigkeit umweht. Denn Bestand haben kann die britische Kolonialgesellschaft natürlich nicht, und so ist es ja am Ende dann auch gekommen.

Aber Mukherjee: Ein angesehener Mann. Roman. Aus dem Englischen von Jens Plassmann. Heyne München 2017. Taschenbuch, Klappenbroschur, 512 Seiten, 9,99 Euro. Auch als E-Book, 8,99 Euro.