Latein war immer mein Lieblingsfach. Kein Wunder also, dass ich es auch als Leistungskurs belegt hatte. Sechs Stunden jede Woche übersetzten wir die philosophischen Schriften Ciceros und interpretierten die Aeneis von Vergil: „Tu regere imperio populos Romane memento . . .“ Ich war im Schüler-Himmel!

 

Ob meine Kurskameraden auch so bei der Sache waren, bezweifle ich im Rückblick. Aber mein Lehrer hat mich geliebt, glaube ich. Die Abiturprüfung im April 1982 war zweigeteilt: morgens die Übersetzung, nachmittags die Interpretation. Gepaukt hatte ich nicht viel, ich war mir meiner Sache ziemlich sicher.

Trotzdem erschien ich zur Prüfung gedopt, wie sich herausstellte: Ich hatte die Wochen vorher fast täglich mit meiner besten Freundin Gabi, die schon studierte und das Große Latinum nachholen musste, Übersetzungen geübt. Praktischerweise waren das auch Cicero-Texte gewesen. Noch mehr als dreißig Jahre später wird mir heiß und kalt, wenn ich an den Moment denke, als ich bei der Prüfung das hektografierte Blatt mit dem Übersetzungstext aufdeckte: Mit „elatio animi“ fing er an: ein Hochgefühl des Geistes.

Genau diesen Text aber hatte ich zwei Tage zuvor mit Gabi intensiv bearbeitet. Ich war in einer Viertelstunde fertig, dann trödelte ich noch mit einer Schönschriftversion herum, bis ich nach 45 Minuten abgab. Mein Lateinlehrer war entsetzt und flehte: Überlegen Sie sich das noch, geben Sie nicht auf. Dann schaute er auf mein Blatt und fing an zu strahlen. Zu meiner Mutter sagte ich beim Mittagessen: Das sind garantiert 15 Punkte. Ich behielt recht.