Weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über immer mehr Flüchtlinge entscheidet, geraten die Gerichte unter Druck: Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, stellt eine Verdopplung der Asylverfahren fest – Tendenz stark steigend.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Parallel zum Andrang der Flüchtlinge landen immer mehr Asylklagen bei den Verwaltungsgerichten. Dieser Trend verstärkt den personellen Druck – andere Fälle bleiben mancherorts liegen.

 
Herr Seegmüller, wie sehr sind die Gerichte durch Klagen gegen Ablehnungen von Asylanträgen und Abschiebungen belastet?
Die Verwaltungsgerichte haben mit Asylklagen gut zu tun. Die Zahlen haben sich im Jahr 2015 gegenüber 2014 etwa verdoppelt. Häufig sind in einer Klage zudem ganze Familien zusammengefasst. Die Zahl der klagenden Personen ist also noch viel höher. Bei den Verwaltungsgerichten kommen steigende Zahlen von Asylanträgen wegen der Bearbeitungszeiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeitlich verzögert an. Der erhebliche Anstieg der Asylbewerber im Jahr 2015 wird sich daher erst in diesem Jahr auf die Eingänge bei den Verwaltungsgerichten auswirken. Daher rechnen wir mit stark steigenden Zahlen. Zudem hat das BAMF sein Personal aufgestockt. Mehr Personal beim Bundesamt bedeutet mehr Entscheidungen. Und das bedeutet dann in der Konsequenz auch mehr Asylklagen.
Können Sie Zahlen nennen?
Mir liegen leider noch nicht alle Zahlen aus den Bundesländern vor. Alleine in Brandenburg hatten wir im Vorjahr 5703 Neueingänge nach 2859 im Jahr 2014. In Rheinland-Pfalz hat es eine Steigerung von 1808 Verfahren im Jahr 2014 auf 3264 Verfahren 2015 gegeben und in Bremen von 380 auf 723.
Gibt es regionale Unterschiede?
Dort, wo die Flüchtlingsströme ankommen, beobachten wir eine Tendenz zu mehr Verfahren. So sind die Zahlen in Bayern besonders hoch – in Baden-Württemberg und Sachsen sind sie aber auch relativ hoch.
Was bedeutet das praktisch für die Richter?
Das hängt zunächst von den freien Kapazitäten der einzelnen Gerichte ab. Manche Gerichte sind personell besser ausgestattet und kommen mit einer steigenden Zahl von Asylklagen leichter klar – andere sind schwächer besetzt. Wenn dort zusätzlich noch viele Asylklagen ankommen, bleiben andere Fälle möglicherweise liegen. Ganz grob geschätzt können Sie davon ausgehen, dass ein Verwaltungsrichter, der nur für Asylverfahren zuständig ist, im Durchschnitt 120 Verfahren im Jahr erledigen kann. Wenn Sie die Zahl der Asylanträge beim Bundesamt kennen und die durchschnittliche Quote der Entscheidungen, die vor dem Verwaltungsgericht angegriffen werden, kann man den zukünftigen Personalbedarf der Verwaltungsgerichte relativ leicht prognostizieren.
Also muss Entlastung her?
Schon Anfang 2015 hatten wir mit einer massiven Steigerung von Asylverfahren zu kämpfen. Da wurde mir von vielen Verwaltungsgerichten berichtet, sie seien ausgelastet oder überlastet. Dann haben die Justizverwaltungen in vielen Bundesländern schnell reagiert und neue Kräfte eingestellt, etwa Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das hat schon gewirkt. Derzeit kommen wir so gerade klar.
Im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sind Richter auf Zeit vorgesehen.
Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, auf dieses Instrument zurückzugreifen. Erstens ist der Richter auf Zeit vielleicht zwei bis vier Jahre am Verwaltungsgericht. So stellt sich die Frage, ob der Ertrag den zusätzlichen Aufwand der Einarbeitung rechtfertigt, wenn er kurz danach wieder weg ist. Zweitens könnten die Anwälte einen Richter als nicht objektiv ablehnen, wenn er schon in einer Ausländerbehörde – quasi auf der Seite des Gegners – gearbeitet hat. Dann haben wir auch nicht viel gewonnen. Wir favorisieren, mehr Personal auf Dauer einzustellen, zumal wir in vielen Bundesländern eine schlechte Altersstruktur haben: Viele Kollegen werden in fünf bis zehn Jahren in Ruhestand gehen. Da muss ohnehin Ersatz her.
Dauern die Verfahren immer länger?
Das hängt ganz stark davon ab, aus welchen Herkunftsländern die Asylbewerber stammen. Ich selbst habe bis Oktober vorigen Jahres eine Kammer geleitet, die für die Herkunftsländer Serbien und Kosovo zuständig war. Da kann man auch acht bis zehn Hauptsachen an einem Tag entscheiden. Die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit kann dann nur drei bis vier Monate dauern. Je individueller die Verfolgungsgeschichten sind und je weniger sich der Richter pauschal auf die Situation in einem Land beziehen kann – umso zeitintensiver wird die Bearbeitung bei Gericht. Verfahren mit Klägern aus dem Iran dauern häufig viel länger. Das hängt, wie mir berichtet wurde, auch mit oft sehr breitem und individuellem Vortrag der Kläger aus diesem Herkunftsland zusammen. Die Verfahrenslaufzeit hängt aber auch davon ab, ob ein Herkunftsstaat als sicherer eingestuft ist, wie etwa Serbien. Das wirkt sich deutlich verkürzend auf die Gerichtsverfahren aus.