Barack Obama verabschiedet sich in Chicago mit einer Rede unter vereinzelten Tränen von seinen Wählern. Mit keinem Satz greift er in der Ansprache Donald Trump direkt an, versteckte Anspielungen auf den künftigen Präsidenten gibt es darin aber genügend.

Washington - Erst wollen sie ihn nicht anfangen lassen und klatschen so laut Beifall, dass Barack Obama nicht beginnen kann. Schnell wird aber klar, dass sie ihn in Wirklichkeit nicht gehen lassen wollen. „Four more years, four more years“, brüllen Tausende Anhänger - und Obama muss erst einmal eine Kurzlektion in US-Verfassungsrecht geben. Noch einmal vier Jahre? „Nein, das darf ich nicht machen“, sagt der Noch-Präsident. Obama verabschiedet sich am Dienstagabend mit einer Rede in Chicago von seinen Landsleuten. Seinem designierten Nachfolger Donald Trump gibt er stilvoll und elegant Ermahnungen mit auf den Weg ins Weiße Haus, die es sich in haben.

 

Der Schauplatz für die Abschiedsrede des ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte der USA ist nicht zufällig gewählt. In Chicago hat Obamas politische Karriere begonnen, dort soll sie auch zu Ende gehen. Vor etwa 18 000 Menschen in der McCormick-Arena zeigt Obama noch einmal, dass er ein begabter Rhetoriker ist, dem es leicht fällt, die Zuhörer für sich zu gewinnen.

Der 55-Jährige ruft seine Landsleute eindringlich dazu auf, sich aktiv in die Politik einzumischen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. „Wenn euch euer gewählter Abgeordneter nicht gefällt, sammelt Unterschriften und bewerbt euch selbst“, ruft Obama in die Menge hinein, die ihm mit donnerndem Applaus antwortet. Zumindest in Chicago, das kann man behaupten, wäre Obama auch ein drittes Mal zum Präsidenten gewählt worden.

Keine weiteren vier Jahre möglich

Aber das lassen die US-Gesetze nicht zu. Und so mischt sich Wehmut in die Abschiedsrede Obamas, der am 20. Januar seinen Amtssitz in Washington räumen muss. An diesem Tag legt Donald Trump den Amtseid ab, und wenn nicht alles täuscht, dann ist das Obama auch nicht ganz geheuer.

Kein einziger Satz in der gut 50 Minuten langen Rede greift Trump direkt an, versteckte Hinweise und Anspielungen auf den künftigen Präsidenten gibt es darin aber genügend. Obama verteidigt seine Klimaschutzpolitik. Er spricht sich vehement dagegen aus, Muslime alleine deswegen zu diskriminieren, weil es Muslime gibt, die Terroranschläge verüben. Er fordert den Schutz von Minderheiten und von Flüchtlingen. „Wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollen. Alle haben noch Arbeit zu leisten“, sagt Obama an einer Stelle der Rede. Unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Glauben, ihrer sexuellen Orientierung und ihren politischen Überzeugungen müssten alle US-Bürger mehr füreinander einstehen. „Wir müssen in die Haut des anderen schlüpfen“, so Obama. Die gesellschaftlichen Bindekräfte würden geschwächt, „wenn wir einige von uns amerikanischer als andere nennen, wenn wir das ganze System als unheilbar korrupt abschreiben, und wenn wir den Politikern, die wir wählen, die Schuld geben, ohne dabei zu in Rechnung zu stellen, dass wir es sind, die sie wählen“.

Kontrapunkt zu politischen Parolen

Obama setzt damit erkennbar einen Kontrapunkt zu den populistischen Parolen Trumps aus dem Wahlkampf. Der New Yorker Immobilienmilliardär warb vor allem um die Weißen im Land und gewann deren Stimmen mit einem nationalistisch-populistischen Politikangebot. „America first“ ist Trumps Slogan aus dem Wahlkampf. Er möchte eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten, will die Visa-Ausgabe für Reisende aus Gefährder-Staaten verschärfen, internationale Handelsverträge möglicherweise kündigen. Die Wirtschaft soll Arbeitsplätzen im eigenen Land schaffen und Produktionen nicht mehr ins Ausland verlagern. Internationale Organisationen wie die Uno sollen künftig weniger Geld aus den USA erhalten.

Die Rede in Chicago ist die letzte Gelegenheit für Obama, die Errungenschaften seiner Präsidentschaft vor einem Massenpublikum zu loben. Abschiedsreden von Präsidenten in den USA haben traditionell gewaltige Einschaltquoten. Obama sagt, wegen seiner Politik seien heute 20 Millionen Menschen zusätzlich krankenversichert. Der Terrorpate Osama bin Laden sei tot, und es sei gelungen, die atomare Bewaffnung des Irans zu verhindern, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern. „Amerika ist heute ein besserer Ort, als zu der Zeit, als wir angefangen haben“, sagt Obama, dem zeitweise die Tränen in die Augen treten. Er fordert seine Landsleute dazu auf, wehrhafte Demokraten zu sein: „Ihr müsst die Werte hochhalten, die uns zu dem machen, was wir sind.“

Abgang unter Jubel

Unter dem Jubel der Zuhörer verlässt Obama nach etwas mehr einer Stunde das Kongresszentrum von Chicago, an seiner Seite geht seine Ehefrau Michelle. Das coolste Polit-Paar in der Geschichte der USA tritt ab. Obamas Anhänger können noch für einen Moment in wehmütiger Erinnerung schwelgen.

Bald beginnt die Ära Trump in den USA. Am Mittwochmittag will der New Yorker Geschäftsmann die erste Pressekonferenz seit einem halben Jahr abhalten. Dabei dürfte es vor allem um die Frage gehen, ob russische Geheimdienste Material besitzen, das den künftigen US-Präsidenten erpressbar macht. Berichte darüber werden ungefähr zeitgleich zur Obama-Rede in den USA öffentlich. Möglicherweise ist das der Grund, warum Trump entgegen seiner Art die Mahnungen des amtierenden Präsidenten nicht auf Twitter kommentiert. Er versucht stattdessen, die Geheimdienst-Geschichte im Keim zu ersticken und twittert: „Falschinformationen - eine totale politische Hexenjagd.“