Zum Saisonabschluss präsentieren die Ludwigsburger Schossfestspiele ein Konzert mit dem Geiger Pinchas Zukerman. Am Dirigentenpult: der souveräne Pietari Inkinen – ein Glücksfall für Ludwigsburg.

Stuttgart - Manchen Besucher des Abschlusskonzerts der Ludwigsburger Schlossfestspiele dürfte die Frage beschäftigt haben, was in den Päckchen war, die der Festspielintendant Thomas Wördehoff an Solisten und Dirigenten verteilt hat. Eintrittskarten fürs Blühende Barock? Oder Schokoladentaler mit dem Stadtwappen? Auch wenn man mit dieser Ungewissheit wohl wird leben müssen, so gab doch der Auftritt von Pinchas Zukerman an diesem Samstagabend immerhin eine Antwort auf die Frage, was große Geiger auszeichnet.

 

Das Violinkonzert von Beethoven spielt insofern eine bedeutende Rolle in Zukermans Karriere, als ihn sein Lehrer Isaac Stern, bei dem er an der Juilliard School in New York studierte, einst vor ein Ultimatum gestellt haben soll: Zukerman, dem es offenbar an der Fähigkeit zur Selbstkritik mangelte, sollte innerhalb von vier Tagen den Anfang des Beethoven-Konzerts nicht bloß spielen können, sondern auch verstanden haben. Sonst, so drohte Stern, schicke er ihn nach Israel zurück. Zukerman übte, verstand – und durfte bleiben. Das Beethoven-Konzert jedenfalls ist seitdem eines seiner Paradestücke. Und auch wenn man es schon oft gehört hat, wird diese Ludwigsburger Aufführung im Gedächtnis bleiben.

Das liegt nicht zuletzt an den Tönen, die Pinchas Zukerman seiner „Dushkin“ genannten Guarneri del Gesù entlocken kann. Sie sind in tiefen Lagen sonor und kraftvoll, in der Höhe von einer unbeschreiblichen Süße und gleißenden Strahlkraft, wie man sie kaum je gehört hat. Aber vor allem spielt sie Zukerman mit einer Haltung, die deutlich macht, was solistisches Spiel eigentlich bedeutet – und dazu gehört auch, ein Orchester noch im Pianissimo überstrahlen zu können.

Kantilenen, von Zukerman in den Himmel geschrieben

Nun gilt Zukerman eher als ein Vertreter der alten Schule, und man konnte sich durchaus die Frage stellen, wie er sich mit einem jungen Dirigenten wie Pietari Inkinen verstehen würde, dem die historische Aufführungspraxis nicht fremd ist. Auch wenn man nicht weiß, wie die Proben verlaufen sind: das Konzert ließ Fragen nach Metronomangaben, Vibrato oder Non-Vibrato als irrelevant erscheinen. Die einleitenden Paukenschläge etablierten den sanft drängenden Impetus, der den ersten Satz belebte, und es entspann sich ein Dialogisieren zwischen Solist und Orchester, wie es in dieser Qualität selten zu erleben ist. Inkinen dirigierte mit Atem und Gespür für die Innenspannung von Phrasen, stets die Klangbalance wahrend, während das Festspielorchester hellwach und rhythmisch beweglich agierte (großartig: die Paukerin Babette Haag) – und in ausgezeichneter Form präsentierten sich auch die agilen Solobläser.

Zukerman spielte in der Orchestereinleitung die Tuttistimmen mit und exponierte seinen Solopart mit einer selbstsicheren Gelassenheit, der alles vordergründig Expressive fremd ist. Keine aufgesetzten Rubati, die „Ausdruck“ evozieren sollen – stattdessen entfaltete sich Beethovens Musik in ihrer ganzen weltumspannenden Humanität. Der zweite Satz war ein großer, gleichermaßen trauriger wie verzückter Gesang, mit Kantilenen, die Zukerman auf der E-Saite wie mit dem Silberstift geradewegs in den Himmel schrieb. Beim Übergang zum Rondo klang das festliche Beethoven-Pathos der Eroica an. Rückenschauererregend.

Ein Glücksfall für das Festival

Nach der Pause dann Dmitrij Schostakowitschs fünfte Sinfonie, jenes Meisterwerk musikalischer Camouflage, mit dem der Komponist die harsche Kritik Stalins zu unterlaufen suchte, indem er hinter der Maske von Pomp und Pathos Bitternis und Anklage versteckte. Nur ein Trottel, so soll Schostakowitsch später geäußert haben, könne das Finale als Apotheose hören. Für ein Projektorchester wie das der Festspiele ist diese Sinfonie technisch wie interpretatorisch ein harter Brocken. Doch Inkinen verstand es, die Ambivalenz dieser Musik, ihr Changieren zwischen tiefster Depression, Auflehnung und Utopie zum Ausdruck zu bringen. Schonungslos ausgespielt das Ungeschlachte der Marschrhythmen im ersten Satz, berührend die verlorenen Gesänge der Holzbläser im dritten – und imponierend die Unerbittlichkeit, mit der Inkinen das Finale zur Kulmination trieb.

Kein Zweifel: dieser Pietari Inkinen ist ein Glücksgriff- und Glücksfall für die Ludwigsburger Schlossfestspiele. Was der aus Jorma Panulas Dirigentenschmiede stammende Finne aus dem Klangkörper an Qualität kitzelt, dürfte die Diskussion über das Für und Wider eines Festspielorchesters zumindest vorerst zum Verstummen bringen. Nach den kargen Jahren unter seinem Vorgänger Michael Hofstetter ist das eine richtig gute Nachricht.