Eine Situation, wie sie täglich irgendwo vorkommt: Die Haustür fällt ins Schloss oder der Schlüssel bricht ab – ein Fall für den Schlüsselnotdienst. Doch dann geht der Ärger oft erst los. Davon handelt diese abenteuerliche Geschichte aus Stuttgart.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Anfang Februar im Stuttgarter Süden. Herr S. hat Freunde und Bekannte zum Kaffee eingeladen. Man trifft sich im Gartengeschoss. Am Spätnachmittag passiert das Malheur: In der darüberliegenden Wohnung von Herrn S. fällt die Wohnungstür zu. Der Schlüssel steckt innen. Jemand hat nicht aufgepasst. Was tun? Ein Schlüsseldienst muss her. Der Sohn einer Bekannten macht eine Nummer im Telefonbuch ausfindig und ruft an.

 

Die Kaffeerunde im Stock darunter bekommt davon erst etwas mit, als es oben laut wird. Zwischen dem eingetroffenen Schlüssdienstmitarbeiter und Herrn S. ist ein Wortgefecht entbrannt. Der Monteur hat einen neuen Zylinder eingesetzt. Arbeitszeit: wenige Minuten. Dafür will er jetzt 946,76 Euro – bar auf die Hand.

Zwei Bekannte von Herrn S., darunter ein Rechtsanwalt, treten hinzu – der Lärm hat sie beunruhigt. Der Monteur zeigt sich unbeeindruckt, er beharrt auf seiner Forderung. Herr S. ist ratlos. Der Anwalt schreitet ein. Er wirft dem Mann „Wucher“ vor und rät Herrn S., 150 Euro zu bezahlen. Die Firma könne ja versuchen, den Rest der Summe einzuklagen. Der Mann vom Schlüsseldienst, so schildern es die Beteiligten, reagiert unwirsch. Er schimpft, droht, telefoniert mit seiner Firma. 800 Euro, sagt er dann. Das sei das letzte Wort. „Auf keinen Fall“, so der Anwalt. Daraufhin greift der Monteur zum Schraubenzieher. Er will den Zylinder wieder ausbauen. „Stopp!“, ruft der Anwalt. Nach dem Einbau gehöre der Zylinder dem Wohnungseigentümer. In Absprache mit Herrn S. erteilt er dem Schlüsseldienstmitarbeiter Hausverbot und droht mit Strafanzeige. Parallel dazu verständigt er die Polizei. Das wirkt, der Mann gibt nach. Herr S. seinerseits ist um einen Ausgleich bemüht, er bietet 250 Euro an. Der Monteur nimmt an, korrigiert die Rechnung (die unserer Zeitung vorliegt) um fast 700 Euro nach unten und zieht mit dem Geld ab. Für Herrn S. ist das Thema erledigt.

Die Schlüsseldienst-Abzocke – „ein Topthema“

Nicht jedoch für den Anwalt: „Solchen Typen gehört das Handwerk gelegt, um Bürger zu schützen.“ Er schickt den Vorgang an die Staatsanwaltschaft mit den Worten: „Ich bin der Auffassung, dass hier ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.“ Dem Laien, der sich in einer Notsituation befinde, werde vorgemacht, es handle sich um einen zulässigen „Notdienst“-Preis. Nicht einmal ein Viertel davon sei angemessen.

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg teilt diese Einschätzung. „Seriöse Anbieter berechnen für die Öffnung einer Tür unter Tags nicht mehr als 100 Euro“, lautet die Auskunft von Annette Wick von der Abteilung Bauen, Wohnen, Energie. Nachts, an Wochenenden und an Feiertagen könne der Betrag höher liegen – jedoch nicht über 250 Euro. Höhere Kosten entstünden auch beim Austausch des Zylinders oder des Schlosses. „Oft ist das aber gar nicht notwendig – auch wenn der Schlüsseldienst etwas anderes behauptet.“ Für Annette Wick ein Dauerthema. Täglich gehen Anfragen wegen überhöhter Rechnungen bei ihr ein. „Die Abzocke beim Schlüsseldienst ist ein Topthema“, sagt die Verbraucherschützerin. „Die Notsituation von Menschen wird seit Jahren schamlos ausgenutzt.“ Ein Missstand, der trotz Gerichtsurteilen fortbesteht. Ähnlich wie bei Rohrreinigungen: „Das ist das Gleiche in Grün.“ Oft handelt es sich sogar um dieselben Anbieter.

Anrufe werden an Callcenter weitergeleitet

Der Fall von Herrn S. sticht dabei heraus. „Eine Rechnung von mehr als 900 Euro ist extrem“, sagt Wick. Glücklicherweise seien mehrere Personen anwesend gewesen und wären eingeschritten. Alleinstehende ältere Leute seien Betrügern dagegen oft schutzlos ausgeliefert. Gerade nachts. Oder an Wochenenden. Ein seriöser Anbieter aus Esslingen, der auch mit der Polizei zusammenarbeitet, berichtet von dem Fall eines dementen Ehepaars, dem innerhalb einer Woche 1200 Euro abgeknöpft wurden; ihnen war aufgrund ihrer Demenz drei Mal die Tür ins Schloss gefallen. Insgesamt rund 250 Euro wäre der korrekte Betrag gewesen.

Dazu kommt, dass sich die Schlüsseldienst-Abzocker raffinierter Tricks bedienen. Das beginnt mit den Einträgen im Telefonbuch. „Etliche Schlüsseldienste wählen falsche Namen, um ganz am Anfang zu stehen – zum Beispiel Namen mit drei As, wie der Berliner Verbraucheranwalt Thomas Hollweck festgestellt hat. Eine örtliche Rufnummer bietet indes noch keine Gewähr für die Seriosität des Schlüsseldienstes, denn Vorwahlen können käuflich erworben werden. Auch große Anzeigen in den Gelben Seiten seien verdächtig. „Das sind Kosten, die Sie als Kunde über überhöhte Preise bezahlen müssen.“ Eine beliebte Masche: Die angezeigte örtliche Telefonnummer wird über eine Weiterschaltung in eine andere Stadt geleitet. Vielfach stünden Callcenter hinter den vermeintlich örtlichen Anbietern. Diese würden dann Subunternehmer gegen Provision mit den Arbeiten beauftragen. „Die ausführenden Mitarbeiter sind oft arme Schlucker“, sagt Annette Wick. Auch im Fall von Herrn S. hatte der Monteur argumentiert, dass er eine hohe Provision zu entrichten habe.

Manche Monteure treten rabiat auf

Hollweck empfiehlt, grundsätzlich die Polizei anzurufen. Sie könne oft Auskunft über seriöse Schlüsseldienste geben. Ebenso die Handwerkskammer. „Über die Internet-seite der Kammer haben Sie Gewissheit, auf einen eingetragenen Handwerksbetrieb zu stoßen.“ Grundsätzlich sei es wichtig, sich die Anschrift des Anbieters genau anzuschauen und auf Vollständigkeit zu überprüfen. Die Verbraucher sollten sich vergewissern, dass die Firma auch wirklich ortsansässig sei. In der Notsituation selbst ist das auf die Schnelle oft nicht möglich, deshalb rät Hollweck, sich auf den Fall des Falles vorzubereiten und die Telefonnummer eines seriösen Anbieters außerhalb des Hauses oder der Wohnung aufbewahren. In Mehrfamilienhäusern bietet sich dafür die Tafel der Hausverwaltung an. Wichtig sei es außerdem, einen Festpreis zu vereinbaren.

Auf diese Weise vermeidet man horrende Rechnungen und unliebsame Erlebnisse, denn in der Branche herrschen teils rabiate Umfangsformen. Annette Wick sind Fälle bekannt, in denen Schlüsseldienstmitarbeiter die Kunden nötigten, mit ihnen zum Geldautomaten zu gehen, wenn sie nicht genügend Bargeld zu Hause hatten. Wichtig sei es, „standhaft zu bleiben“, sagt Wick. „Auch wenn das schwierig ist.“

Ihre Erfahrungen bitte!

So aufdringlich die schwarzen Schafe beim Kassieren sind, so ausweichend agieren sie auf Presseanfragen. Wenn überhaupt, wie im Fall von Herrn S. aus Stuttgart. Anruf beim fragliche Schlüsseldienst mit Sitz in Essen. „Es geht um eine überhöhte Abrechnung für die Öffnung einer Türe . . .“ Stille in der Leitung. Dann legt der Mann auf. Haben Sie, liebe Leser, ebenfalls negative Erfahrungen mit Schlüsseldiensten gemacht? Teilen Sie uns Ihre Erlebnisse mit – per Mail: lokales@stzn.de oder per Post: Zentralredaktion, Postfach 10 44 52 70039 Stuttgart. Stichwort: Schlüsseldienste.