Eklat im Kanzleramt: Ägyptens Präsident as-Sisi musste sich bei seinem Staatsbesuch am Mittwoch als Mörder beschimpfen lassen. Viele Vorwürfe seiner Kritiker sind berechtigt. Dennoch wäre es falsch, einen Dialog zu verweigern, findet StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - „Du bist ein Mörder, Du bist ein Nazi, Du bist ein Faschist“ – das bekommen Staatsgäste im Kanzleramt selten zu hören. Mit diesen Worten hat eine junge Frau am Mittwoch Angela Merkels Staatsgast Abd al-Fattah as-Sisi beschimpft. Dessen öffentlicher Auftritt endete mit einem Eklat ohnegleichen. Der Studentin ist bei ihrer Anklage zwar die Begrifflichkeit ein bisschen verrutscht. Aber natürlich wird niemand behaupten, dass der starke Mann Ägyptens ein lupenreiner Demokrat sei. Nein, Merkel hat einem Tyrannen die Hand gereicht. As-Sisi ist ein Diktator, Putschist, Autokrat, Gewaltherrscher.

 

An den Vorwürfen seiner Kritiker gibt es wenig zu deuteln. Nur die Schlüsse, die sie daraus ableiten, sind falsch – das gilt auch für den ranghöchsten Kritiker: Norbert Lammert, den Präsidenten des Deutschen Bundestags. Er hat sich geweigert, dem unwillkommenen Besucher die Ehre eines Dialogs zu erweisen. Ein solcher Entschluss ist an Gutmenschentum kaum zu übertreffen, hilft aber nicht weiter. Die Kunst der Politik besteht ja gerade darin, notfalls selbst mit dem Teufel zu verhandeln.

Der ehemalige General aus Kairo hat seinen demokratisch gewählten Vorgänger aus dem Amt gejagt und sein Land fast aller demokratischen Freiheiten beraubt. Er verwandelte Ägypten in einen Polizeistaat. Die Islamisten bekämpft er mit brutaler Härte. Auch wenn es zynisch klingen mag, so lässt der letztgenannte Umstand immerhin darauf schließen, dass Deutschland eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen mit dem Despoten hat. Diese Schnittmenge ist größer als Demonstranten und Ehrenmenschen wie Norbert Lammert wahrhaben wollen.

Ägypten ist das bevölkerungsreichste Land im Nahen Osten – Schlüsselmacht in einer Krisenregion unmittelbar vor Europas Haustür. Die Machthaber in Kairo könnten eine Mittlerrolle im Palästinakonflikt spielen, was sie jahrzehntelang auch mit einer gewissen Verlässlichkeit getan haben. Ohne die Hilfe Ägyptens wird es auch kaum möglich sein, die anarchischen Verhältnisse im Nachbarland Libyen zu überwinden - und damit die Flüchtlingstragödie auf dem Mittelmeer. Zudem haben deutsche Unternehmen bedeutende wirtschaftliche Interessen in dem Land am Nil. Das mag in manchen Kreisen als unethisch gelten, sichert aber einen Teil des Wohlstands, von dem auch Demonstranten profitieren.

Es gibt also gute Gründe, mit diesem Mann das Gespräch zu suchen. Dabei geht es nicht darum, ihm einen roten Teppich auszurollen, ihn durch höchstrangige Aufmerksamkeit aufzuwerten. Im Vordergrund solcher schwierigen Gespräche steht vielmehr die Absicht, Einfluss zu wahren und die Bedingungen abzustecken, unter denen eine politische Zusammenarbeit möglich ist. Das kann auch zum Vorteil der Menschen sein, die unter der Tyrannei des Sisi-Regimes zu leiden haben. Man nennt das Realpolitik.

Leider ist die Welt nicht so sortiert, wie es im Lehrbuch für demokratische Rechtsstaaten beschrieben steht. Wer einem Mann wie as-Sisi den Stuhl vor die Tür stellt, der dürfte auch nicht mit Putin oder mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping reden. Die Kanzlerin hat nach dem Mittagessen mit ihrem schwierigen Gast klare Worte gefunden, um ihr Missfallen an den Zuständen in Ägypten deutlich zu machen. Sie hat aber auch erkennen lassen, wie groß vor allem die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands an einer Zusammenarbeit mit dem Regime in Kairo sind. Am Ende bleibt auch hier die Hoffnung auf einen Wandel durch Annäherung. Die Alternative zu dieser Art von Diplomatie wäre ein politischer Offenbarungseid.