Stuttgarter Eigentümer haben Angst um ihr Hab und Gut. 3000 Flächen werden für den Tunnelbau für Stuttgart 21 benötigt.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Wenn im nächsten Jahr mit dem Bau des Fildertunnels für Stuttgart 21 begonnen wird, und sukzessive weitere Tunnelarbeiten in der ganzen Stadt folgen, sind rund 3000 Grundstücke von Beeinträchtigungen betroffen. Der von der Bahn beauftragte Rechtsanwalt Josef-Walter Kirchberg erklärte jetzt im Saal des Haus- und Grundbesitzervereins in der Gerokstraße rund 80 teilweise aufgebrachten Hauseigentümern die rechtliche Lage. „Es kann sein, dass die Bahn ihr Grundstück vorübergehend braucht, um Material zu lagern oder Zufahrten zu bauen. Manche Grundstücke wird man ihnen aber auch ganz wegnehmen müssen, weil Eisenbahnbauwerke entstehen“, so Kirchberg. Die Bahn muss in diesen Fällen einen am Grundstückswert angepassten Preis zahlen. In anderen Fällen muss die Bahn Entschädigungen dafür zahlen, dass unter den Grundstücken Tunnel gebaut werden, wobei die Bebauung der Grundstücke keine Rolle für die Höhe der Zahlungen spielt. Grundlage hierfür ist der Planfeststellungsbeschluss in Verbindung mit dem Paragrafen 22 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, der der Deutschen Bahn die Nutzung, den Erwerb und das Unterfahren der in Grunderwerbsverzeichnis und Grunderwerbsplan genannten und dargestellten Flächen erlaubt.

 

Für viele Grundstückseigentümer stellt sich die Frage nach der Höhe der Entschädigungen. Die Eigentümer wollten jetzt in der Gerokstraße wissen, weshalb sie noch nicht von der Bahn erfahren konnten, wann ihr Grundstück von den Bauarbeiten betroffen sein wird. Kirchberg betonte, dass erst ein Bauzeitenplan erstellt werden müsse. Danach würden die Eigentümer und auch die von Wohnungseigentümergemeinschaften beauftragten Hausverwalter von der LBBW Immobilien Landsiedlung angesprochen. Dann soll es zu Verhandlungen kommen, bei denen man sich an den in Stuttgart üblichen Verkehrswerten orientieren wolle, die aus dem Bodenrichtwertatlas ermittelt würden. Wenn es nur darum gehe, dass das Grundstück teilweise unterfahren werden müsse, würden im Grundbuch Dienstbarkeiten eingetragen, die von einem Notar bewilligt werden müssten.

Bahn will das Münchner Verfahren

Im Stuttgarter Stadtgebiet soll für den ganzen Ablauf, so sieht es die Bahn vor, das Münchner Verfahren angewandt werden. Ein Verfahren, das beim dortigen U-Bahn-Bau in den 70er-Jahren angewandt worden war. Wie schlecht dieses, im flachen Münchner Stadtgebiet verwendete Verfahren auf das bergige Stuttgart passe, machte viele Eigentümer wütend. Kirchberg versicherte, dass ein Sachverständiger damit beauftragt sei, das Verfahren an die hiesigen Verhältnisse anzupassen. In vier Wochen sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Josef-Walter Kirchberg erklärte das Münchner Verfahren und rechnete ein Beispiel vor: Ein 500 Quadratmeter großes Grundstück würde bei einem Bodenwert von 1000 Euro pro Quadratmeter von einem in 10 Metern Tiefe gelegenen Tunnel komplett unterbaut – die Eigentümer bekämen in diesem Fall 28 750 Euro. Die Besucher in der Gerokstraße zeigten sich erzürnt über das gewählte Beispiel. „Welches Einfamilienhaus ist schon 500 Quadratmeter groß und wird komplett unterbaut?“, fragte eine Frau, der laut eigener Aussage maximal 3000 Euro zugesprochen worden waren. Viele Grundstücke werden nur zu kleinen Teilen vom Tunnel unterbaut, und lediglich für diese teilweise nur wenige Quadratmeter umfassenden Flächen sollen die Eigentümer entschädigt werden. „Aber das ganze Grundstück verliert doch an Wert“, so eine Eigentümerin.

Beweissicherungen an den betroffenen Grundstücken

Die von den Bauarbeiten betroffenen Gelände sollen vor Baubeginn durch Gutachter der Bahn beweisgesichert werden. Viele zweifeln jetzt bereits an der Neutralität der Gutachten, weshalb auch der Haus- und Grundbesitzerverein einen Gutachter stellen will. Bei Schäden an Gebäuden, wie etwa Rissen an Häusern über den Tunneln, müsse die Bahn in Einzelfällen versuchen, zu beweisen, dass diese nicht durch den Tunnelbau entstanden sind. Für Aufruhr im großen Saal des Vereins in der Gerokstraße sorgte auch die von Kirchberg vorgetragene Erwartung der Bahn, dass mit keinen über den zugelassenen Grenzwerten liegenden Immissionen, wie etwa Erschütterungen oder Geräuschen, zu rechnen sei: „Im Moment sind keine Entschädigungen dafür vorgesehen, weil damit überhaupt nicht gerechnet wird.“

Ein Eigentümer berichtete, er habe erfahren, dass an seinem Grundstück jahrelang 40-Tonner den Schutt aus dem Tunnel abtransportieren und irgendwo abladen sollten. „Dagegen muss ich natürlich vorgehen“, kündigte der Mann an. Diese Arbeitsweise im Tunnelbau sei zudem veraltet, und sie würde von der Bahn nur gewählt, weil sie billiger als moderne Methoden sei. Kirchberg sagte, die Bahn wolle versuchen, die Kosten niedrig zu halten, man wolle aber auch nicht vor Gericht enden. Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins, kündigte an, dass sein Verein nicht ausschließe, im Extremfall „ein Musterverfahren durch die Instanzen“ zu führen.

Im Internet können Eigentümer auf einer eigens eingerichteten Seite nachschauen, ob ihr Grundstück betroffen ist und wie tief der Tunnel an dieser Stelle werden soll.